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"Denn Übung ist besser als Kunst" (?) Von zielführendem Training



"Und übe dich darin desto mehr im Schimpf, so gedenkst du ihr desto besser im Ernst. Denn Übung ist besser als Kunst, denn Übung taugt wohl ohne Kunst aber Kunst taugt nicht wohl ohne Übung." [1]

So lautet eine oft zitierte Aussage eines anonymen Fechters um 1400. Das Zitat stammt aus der ältesten überlieferten Beschreibung der Fechtlehren des Johannes Lichtenauer, welche die Fechtlehren des südlichen deutschsprachigen Raumes über mehr als 100 Jahre beeinflusste. Der Text befindet sich in der Handschrift HS 3227a des germanischen Nationalmuseums Nürnberg (GNM). Doch was genau ist will er dem Leser damit sagen? Was meint er eigentlich mit Kunst und was mit Übung? Wie ist das Verhältnis zwischen Übung und Kunst zu bewerten? Und wie verhält sich dies mit Bezug zu modernen professionellen Lehr- und Trainingsmethoden?

In den vielen Jahren als Fechtlehrer habe ich immer wieder Interpretationen dieses Zitats gehört, die doch ähnliche Schlüsse hatten. Kurzum wurde es wie folgt erklärt. Freikämpfe sind besser als Techniktraining. Lerne durch Übungskämpfe anstatt dich lange an Solo- und Partnerdrills aufzuhalten.

Doch ist es wirklich das, was uns der anonyme Verfasser damit sagen wollte? Vor allem wenn es im Gegensatz zu jeglicher modernen Trainingslehre und Bewegungslehre steht. Ganz im Gegensatz auch zu üblichen historischen Trainingsmethoden.

Schauen wir uns zuerst den Textzusammenhang des Zitats an. Das Zitat befindet sich im allgemeinen Teil zu Lichtenauers Fechtlehre. Zuerst erklärt er dem Leser, dass Lichtenauer die Fechtkunst in ein System gefasst hat, welches alles notwendige beinhalte und das die Fechtkunst sich nicht verändere, sondern nur neue Namen für gleiche Dinge erdacht werden. Danach teilt er uns mit, dass man das Fechten nicht allein nur durch schriftliche und mündliche Vermittlung lehren und erlernen kann, sondern es muss mit der Hand gezeigt und angewiesen werden. Er meint auch man solle auf seine Sinne achten und das Fechten umso besser betrachten, also beobachten.

"Darum nutze deine Sinne und betrachte es (das Fechten) desto mehr."

Erst dann folgt der Bezug zu Übung, Kunst und auch dem Wort Schimpf. Denn im nächsten Satz bereits folgt das obige Kernzitat.

"Und übe dich darin desto mehr im Schimpf, so gedenkst du ihr desto besser im Ernst. Denn Übung ist besser als Kunst, denn Übung taugt wohl ohne Kunst aber Kunst taugt nicht wohl ohne Übung."

Wir müssen nun also erst klären, was der Verfasser eigentlich mit Übung, Kunst und Schimpf meint. Dies lässt sich aus der Handschrift HS 3227a jedoch schnell und einfach ersehen. Allein im Allgemeinteil wird das Wort Kunst ca. 20 mal genutzt. Vorwiegend scheint damit das Wissen (kognitive Inhalte) und das Können (psychomotorische Inhalte), also die Lehren des Fechtens gemeint zu sein. Es geht also um die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die einem strukturiert gelehrt/ ausgebildet werden. Das meint Kunst.

Übung hingegen bezieht sich auf all jenes, was der Fechter nicht im Rahmen der Bewegungsvermittlung lernen kann. Es bezieht sich auf die Eigenschaften, die ein Fechter nur in der Auseinandersetzung mit einem anderen Fechter lernen kann. Doch was genau meint er damit. Das ist sehr einfach erklärt. Nehmen wir an wir hätten zwei Fechter, die sich in einem Übungsgefecht gegenüberstehen. Nummer eins ist ein erfahrener "Straßenfechter". Im Fußball würde man ihn einen Bolzer nennen. Also jemand, der nie die technischen und taktischen Aspekte gelernt hat. Der aber regelmäßig mit seinen Freunden bolzen geht. Man trifft sich also regelmäßig und macht einfach Matches. Ihm gegenüber steht ein Fechter, der gut in der "Kunst" ausgebildet ist aber noch nie einen Übungskampf gemacht hat. Er kennt die wichtigsten Kniffe und hat eine gute technische Ausbildung genossen. Wie groß ist die jeweilige Siegeswahrscheinlichkeit, wenn wir davon ausgehen, das auf den ersten Treffer oder auf die ersten drei Punkte gefochten wird?

Natürlich kann man sagen, kommt darauf an. Das kann man immer sagen. Aber in den meisten Fällen, wo ich solche Gegenüberstellungen gemacht und/oder angeschaut habe, gewann der "Bolzer". Also der technisch schlechte Fechter, der aber dafür über mehr Erfahrung verfügte. Und genau das ist es, worauf der anonyme Verfasser in seinem Zitat bezieht, wenn er von "Übung" spricht.

Leider haben zumindest aus den Gesprächen der letzte Jahre viele daraus für sich gesagt, wir machen weniger Techniktraining und mehr Übungsgefechte. Damit wurden natürlich auch Erfolge erzielt. Aber worauf beruhen diese Erfolge? Doch eher darauf, das die Bolzer oft gegen andere Bolzer fechten. Oder gegen jene, die noch wenig fortgeschritten in der technisch-taktischen Ausbildung sind.


Ist das wirklich das Ziel eines Fechters? Zu bolzen? Meines auf jeden Fall nicht. Wohl auch nicht das der alten Fechtmeister. Im Gegenteil. Man sollte stets nach dem Besten zielen. Doch wie ist das "Beste" im Fechten denn mit Übung und Kunst überein zu bringen. Nun ja, das haben uns viele Bereiche gezeigt. Wir sehen es in den verschiedenen Methoden seit dem Mittelalter. In der modernen Ausbildung von Fechtsportlern, beim Militär und der Polizei. Es hat sich nie geändert und wird sich auch nie ändern. Doch es ist eine bestimmte Einsicht notwendig.

Im Fußball sieht man dies tatsächlich sehr oft. Jene die vielleicht selber Fußball oder andere Sportarten ohne Trainer auf dem Schulhof oder anderswo gespielt haben kennen es vielleicht. Die Bolzmannschaften hatten meist ein maximal zwei Spieler, die durch irgendwelche besonderen Anlagen darin gut waren und damit den anderen voraus waren. Dadurch hat deren Mannschaft meist gewonnen. Oder auch eine Mannschaft hatte nur einen gute ausgebildeten Vereinsfußballer. Dies hat die gesamte Mannschaft weit voran gebracht. Ich habe es auch erlebt und zwar mehrfach. Ich habe selbst 14 Jahr aktiv Fußball gespielt und erinnere mich an die Anfangszeit, als man beim Bolzen top war aber im Verein keine Blatt gesehen hat. Als man dann gut ausgebildet war, hat das Bolzen einfach keinen Spaß und keinen Reiz mehr gehabt. Ich sehe es heute bei meinem Sohn, der zuerst in einer AG Handball gespielt hat und dann zusätzlich eine ordentliche Ausbildung im Verein begonnen hat.

Es braucht eine strukturierte Ausbildung, die zielführend Ziele, Inhalte und Methoden zu einem erfolgversprechenden Paket schnürt. Der Fechtlehrer Oberleutnant Bartunek beschreibt es um 1900 sehr gut, indem er vom idealen Fechter spricht, den er einen "FERTIGEN FECHTER" nennt. Dieser fertige Fechter vereint Kunst und Übung miteinander. Wie er das schafft? Mit einem festen Curriculum, regelmäßigen Überprüfungen und Übungsgefechten und Wettkampfgefechten, auf denen der Lernerfolg geprüft wird.

"Fertige Fechter. In diese Kategorie zählen nur solche, die eine gründliche, systematische fechterische Ausbildung erhielten, genau nach den Regeln der Schule arbeiten, keinerlei Elementarfehler aufweisen, durch langjährige fechterische Praxis sich genügende Kampfroutine erworben haben und die Fechtkunst auch gegenwärtig intensiv betreiben. Darunter verstehe ich, dasz dieselben beinahe täglich fechterisch tätig sind, dasz sie weiters nicht nur in engerem Kreise fechten, sondern auch an öffentlichen, namentlich hauptstädtischen Fechtturnieren und Fechtakademien jährlich teilnehmen und auf solchen Turnieren nicht nur im Klassifikationsfechten, sondern auch in der Poule durch Medaillen, Ehrendiplome und Ehrenpreise etc. öffentliche Anerkennung finden."[2]

Um davon ein Bild zu geben, schauen wir uns das Gefecht von vorhin nochmal an. Wir haben auf der einen Seite wieder den "Bolzer" mit vielen Kämpfen Erfahrung ohne Kunst, also ohne Ausbildung. Doch dieses Mal kämpft er gegen den "FERTIGEN FECHTER". Dieser hat nicht nur seine Kunst erlernt, sondern diese in Übungsgefechten regelmäßig angewendet und die entsprechende Erfahrung gesammelt, wie er Technik in einem Gefecht auch taktisch und strategisch anwendet. Er hat also ähnlich hohe Erfahrungswerte im Gefecht UND eine technische Ausbildung. Wie stehen dieses mal die Erfolgschancen? Also ich würde mein Geld auf den Fertigen Fechter setzen!


Und genau da ist das Ziel einer guten Ausbildung von Fechtern, von Kämpfern, von Soldaten, von Polizisten etc.. Bewegungen müssen erlernt werden. Alle Bewegungen sind "Techniken". Das dauert unterschiedlich lang. Aber diese technische Ausbildung ist und bleibt die absolute Basis. Lediglich die richtigen Methoden müssen dafür angewendet werden, um dies auf die entsprechende Lernzielstufe und die richtige Stufe von Koordination zu bringen. Dazu gehört natürlich auch das Anwenden in kampfnahen Methoden! Das ist aber nicht mit Sparring/ Freigefechten zu verwechseln. Der Lehrer/ Trainer ist dafür verantwortlich diese Übergänge der Lernzielstufen zu überwachen und die Methoden zielgerichtet anzuwenden. Es gibt viele Methoden. Doch grundsätzlich bleiben sie stets gleich und sind in einer didaktischen Analyse entsprechend didaktischer Prinzipien zu wählen.

Erst wenn eine gewisse technische Perfektion erlangt wurde, sollten Freigefechte als Methode angewendet werden, um die Anwendung im Gefecht zu erlernen. Es hängt hierbei viel von der methodischen Kompetenz des Trainers ab, ob er die richtigen Aufgaben, Vorgaben, Handicaps etc. einsetzt, um das entsprechend operationalisierte Ziel zu erreichen.

Das wichtigste dabei ist aber immer, es auch mit spielerischen Methoden zu verbinden. Ja, spielerisch. Selbst beim Militär werden Kampfspiele und Herausforderungsformen genutzt, um Kompetenzen für Technik und Gefecht zu schulen. Spielerisch Lernen ist seit Jahrhunderten in der militärischen und kämpferischen Ausbildungslehre sowie Trainingslehre verankert. Das ist der Grund, warum Ritter im Hochmittelalter gefechtsähnliche Wettbewerbe ausrichteten und sich gemessen haben. Das ist der Grund, warum Kampfspiele wie Rugby, Football, Fußball und viele andere entstanden. Sie sollten spielerisch die Kompetenzen schulen. Hier ist auch das Wort Schimpf am ehesten zu erklären. Denn Schimpf heißt soviel wie Kampfspiel. Es ist ein sehr weitgreifender Begriffe, der auch Übungsgefechte und Wettkämpfe einbezieht.

Ein solche Ausbildungsplanung ist umfänglich, ist lang und ist intensiv. Aber sie ist strukturiert, zielführend und Abwechslungsreich! Aber eines ist sie nicht: Sie ist kein nachspielen der Stücke in den Fechtbüchern!

Die Stücke in den Fechtbüchern sind Beispielabläufe komplexer Situationen. Sie entsprechen Lektionen für Fortgeschrittene, die ein Lehrer gezielt mit seinem Schüler situativ einspielt. Oder die als Kampfnahe Übungen trainiert werden können. Daher heißt es in den Vorreden oder ersten Anweisungen der Lichtenauerlehre auch stets, dass sich diese an jene richten, die bereits das Fechten anderswo erlernt haben. Dies scheint eine alte Tradition der europäischen Fechtlehre zu sein. Noch in den jüngeren Fechtbüchern etwa um Luigi Barbasetti finden sich solche Beispiele, die erst ab einem gewissen Ausbildungslevel eingesetzt werden. Für den fortgeschrittenen Schüler. Der Trainer gibt die jeweiligen Ausgangssituationen vor und der Schüler muss reagieren. Typische Fecht-Lektionen. Bereits Joachim Meyer beschreibt, dass Partnerübungen erst nach einer umfangreichen Grundausbildung stattfinden dürfen/sollen. Joachim Meyer ist auch der erste Meister, der uns eine umfassende Grundlagenausbildung mit auf den Weg gibt.

Bei IN MOTU habe ich seit mehr als 5 Jahren darauf verzichtet, die Stücke nachzufechten. Viel mehr habe ich eine Grundlagenausbildung erarbeitet die nun in den vergangenen 3 Jahren mehrfach getestet wurde, und die darauf zielt einen FERTIGEN FECHTER auszubilden. Die Erfolge sind sehr gut! Die Fechter machen bereits unbewusst jene Stücke, die in den den verschiedenen alten Quellen erwähnt sind. Nach der technischen Grundausbildung werden die Fechter darin geschult ihr Können und Wissen im Gefecht anzuwenden. Wenn diese Anwendung gelungen ist, werden sie FECHTER sein. Noch keine Fertigen natürlich. Denn dann beginnt erst der Weg zum FERTIGEN FECHTER. Das Fechten auf Wettkämpfen. Das Sammeln von Erfahrung ohne Ende! Und erst dann beginnt das Stückefechten, wie ich es nenne. Also das kampfnahe Training der Stücke aus den Fechtbüchern. Das ist wird unser Fortgeschrittenen-Ausbildung sein. Wie gesagt ein strukturiertes, intensives, forderndes aber abwechslungsreiches Ausbildungssystem. Der wirkliche Erfolg einer Ausbildung kann eben erst am Ende der Ausbildung gemessen werden und nicht mitten drin. Dort kann man nur Teilziele kontrollieren.

Wichtig aber ist auch eines! Es ist eine sehr gute Sache sich regelmäßig zu Übungsgefechten zu treffen und eine regelmäßiges Gefechtstraining zu haben. Es sollte jedoch angeleitet und zielführend sein und nicht nur daraus bestehen Gefechte ohne Zielstellung, also Freigefechte gegen möglichst viele Gegner zu machen.

Dies ist mein/unser Weg bei IN MOTU, um Kunst und Übung überein zu bringen. Es ist der Weg, den ich aus 13 Jahren beruflicher Erfahrung als Lehrer und Ausbilder beim Militär sowie als Schüler und Lehrer im Kampfsport aber auch aus anderen Sportarten zusammengefügt habe. Und ich versuche dabei, wie oben beschreiben Kunst und Übung in einem Gleichgewicht überein zu bringen. DENN ALLE KUNST HAT LÄNGE UND MAß! ;-)


[1](ins moderne Übersetzt aus GNM HS 3227a fol. 15r von ca. 1389)

[2] Bartunek, Erfolgssicherung, Estergom 1904, S. 31f.

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