Hauen lernen
Vor mehr als 5 Jahren habe ich begonnen, das Grundlagentraining neu zu starten und eine zielführende didaktische Neustrukturierung vorzunehmen. Doch was zählt zum Grundlagentraining? Zuerst natürlich eine gewisse Basisfitness (Kraft, Kraftausdauer, Kondition, Koordination und Beweglichkeit). Diese wird wie früher durch Turnübungen teilweise im Unterricht mehr aber individuell durch die Schüler zu Hause bis zu einem bestimmtem Level sichergestellt. Zusätzlich folgt die fechtspezifische Fitness, also die gleichen Teil-Bereiche jedoch speziell auf das Fechten ausgerichtet. Je nach Zielstellung, wozu ein Schüler Fechten betreibt, können diese Fitnessübungen und der gewünschte Fitnessgrad sehr unterschiedlich ausfallen. Den dritten Teil bildet das technische Grundlagentraining bestehend aus Häuen, Stößen, Versetzen und technisch-taktischen Elementen. Dieses orientiert sich an der didaktischen Struktur der alten Meister und den Grundlagentrainings von Joachim Meyer und späteren Meistern. Bereits die Nürnberger Handschrift GNM HS 3227a verweist darauf, dass ein Fechter zuerst das Ringen, dann das Fechten mit kurzen Wehren (Einhandwaffen) und dann mit langen Wehren (Langes Schwert, Stangenwaffen) erlernen solle. Das erste umfassende Lehrbuch, dass sich nicht an den fortgeschrittenen Fechter sondern an den beginnenden Schüler richtet, ist tatsächlich das gedruckte Werk von Joachim Meyer aus dem Jahr 1560.[1] In diesem Lehrbuch legt er eine umfassende Fechtdidaktik dar, die in einer engen Tradition zum GNM HS 3277a steht, wie sich an vielen Stellen erkennen lässt. Das Messer und später der Dussack sind dabei die grundlegenden Trainingswaffen, mit welchen die Grundlagen trainiert werden, wie Meyer etwa im Vorwort mitteilt. Aber auch noch im 19. Jahrhundert findet man etwa bei Jacob Happel eine ähnliche Didaktik vom Turnen zum Boxen, zum Stockkampf, zum Stabkampf, zum Säbel, zum Schwert, zum Gewehrfechten. Auch dort sind viele grundlegende Übungen erwähnt, um das Fechten durch viele Grundlagenübungen zu erlernen.
Bereits Joachim Meyer erwähnt hierbei das Hauen (zusätzlich auch das Stoßen) als die grundlegendste Fertigkeit, die es zu erwerben gilt, bevor man sich der Verteidigung und Partnerübungen widmen könne. Das Hauen wird mit der Einhandwaffe erlernt, welches bei Meyer mit dem Dussack erfolgt und später im Rapier vervollständigt wird. Der Dussack wird explizit als die Grundlagenwaffe zum erlernen des Fechtens mit kurzen Wehren genannt.
„[…] Will derhalben denselben/ als der bey uns Teutschen nach dem Schwerdt nicht allein am breuchlichsten/ Sonder auch als ein anfange und grund aller Wehr/ so zu einer hand gebraucht werden/ hieher setzen[…]“ [2]
Dort findet man die grundlegenden Hauregeln, die ein jeder Fechter alleine erlernen sollte. Von halben Häuen, ganzen Häuen der entsprechenden Beinarbeit und vielen anderen absolut grundlegenden und bedeutenden Regeln. Nach mehr als 5 Jahren Training und Lehre in diesen Regeln, kann ich nun sagen, dass sie den späteren Regeln bis in das 19. Jahrhundert stark ähneln und ein grundlegendes Verständnis für die Körpermechanik vermitteln, wie etwa Kraftlinien, flüssige, schnelle und umfangreiche Bewegungsformen.
„Von den vier Häuen/ mit vier guten Regeln/ wie man die recht führen und lernen solle/ sampt etlichen angehenckten exemplen.“[3]
Erst wenn diese Hauübungen abgeschlossen sind und man sie BEHERRSCHT(!)[4], sei man bereit auf den Platz zu treten und sie gegen einen anderen Fechter anzuwenden. Sie stellen nach Meyer also die absolute Grundlage zum erlernen der Bewegungskultur des Fechten dar und sorgen für die Handlungssicherheit des Fechters, um auch in Partnerübungen das Mindestmaß an Sicherheit zu stellen.
[...]Derhalbe ist das mein Rath / wann du den stilum diser kunst treffen wilt / das du zu forderst wie nun offt gemelt / erstlich die häuw oder stich für sich selbst / recht und wohl mit ausgestreckten Armen / auch mit zuthunung des gantzen leibs treffen / gewaltig von dir hauwen lernest / des findest ein nützliche form solche häuw anfang zuleren im Dusacken / durch vier Regel / im dritten Capitel fürgeschrieben / wann du nun dieselbigen recht und wol wie gesagt / kanst hauwen / so lerne als dann zum anderen / dieselbigen in vollem flug oder lauff / wider künstlichen abzucken 7 und verfliegen zulassen / damit du einen jeden hauw / wann er eben jetz antreffn soll (und aber gewahr wurdest / das er in disem Ort unfruchtbar sein wurd) noch in dem selbigen flug / ehe ers recht gewahr wirdt / anderst wo hin verwenden könntest / Wann nun solches geschehen / so bist du erst abgericht und tüchtig gemacht / auff den platz zu thretten / und anfangen solche häuw in der Practick / auch gegen deinem widerfechter ins werck richten zu lernen [...] [5]
Jede Übung hier aufzuzählen würde zu weit gehen und wird ziel einer gesonderten Publikation sein, an der ich seit einigen Jahren arbeite. Für die Grundhäue Scheitelhau, Zornhau, Mittelhau, Unterhau müssen jedoch zuerst halbe und ganze Häue im Stand und dann mit Anstellschritten durch den Bogen zu hauen erlernt werden. Danach werden weitere Beinarbeiten verknüpft. Im Anschluss folgen weitere nützliche "Regeln" aus Joachim Meyers Werken, wie etwa das "Häue gegeneinander treiben", "Kreuzhäue" und sinnvolle Haukombinationen. Zur zielgerichteten und angepassten Stärkung des Handgelenkes und der übrigen Armmuskulatur, beginnt das Training mit leichten Geräten vom Stock oder Holzschwert über Nylonschwerter bis hin zu zunehmend schwereren Schwertern. Dafür nutze ich auch neuere Übungen aus dem Säbelfechten, welche die Mobilität und Stärkung des Handgelenkes stark verbessern. Anstatt diese Übungen gleich in Bewegung zu erlernen gehe ich bei mir an der Schule noch eine Stufe niedriger und beginne das Erlernen der Haubewegungen für einen besseren Lernprozesses in der Bewegungslehre im Stand und erst dann mit Beinarbeit. Dazu zeige ich kurz einige Drills in dem folgenden Videozusammenschnitt.
Grundlage für das Erlernen von Häuen bilden vermutlich schon immer bildliche Modelle, die es dem Schüler vereinfachen, das System zu erlernen. Im deutschsprachigen Raum scheint im Mittelalter und bis in das 16. Jahrhundert ein alphanumerisches System genutzt worden zu sein, bei welchem die Haulinien mit Buchstaben und die Haukombinationen mit Zahlen angegeben wurden. Detailliert sehen wir dies erstmals bei Joachim Meyer. Doch wir finden auch in älteren Werken Hinweise auf diese Ausbildungsmethode, wie etwa die Darstellung eines Fechters, der an seiner linken Körperhälfte von oben nach unten mit den gleichen Buchstaben markiert ist, wie das spätere Haumodell von Joachim Meyer (A-H).
Ich möchte auch noch darauf hinweisen, das ein Fechter für verschiedenen Distanzen und Techniken vom Zufechten aus der weiten Mensur bis zur Handarbeit in der engen Mensur verschiedene Hautechniken benötigt. Vom Hauen mit gestreckten Armen aus dem ganzen Körper, mit und ohne Zutritt im Zufechten, über Häue aus der Schulterrotation, Häue aus dem Ellenbogen und schließlich Häue aus dem Handgelenk. Nach jahrelangem Training ist es dann auch kein Problem mehr, einen schnellen Hau aus dem Handgelenk mit einem einem 1,5 kg Kriegsschwert durchzuführen.

[6]

Nicht zu vergessen sei hierbei auch das regelmäßige Training an einem Haupfahl, um auch die Aufprallenergie kennenzulernen und die Muskulatur und Koordination zu schaffen, um diese ohne Verletzungen aufzunehmen. Das Training am Pfahl hilft zusätzlich, Kraft und Kraftausdauer zu verbessern und die dringend notwendige Präzision zu erlangen, die schließlich in Schnitttests verfeinert und geprüft werden kann. Auch Haukombinationen können am Pfahl sehr gut allein Trainiert werden. Der Pfahl ist das, was für den Boxer sein Boxsack ist.
Schließlich folgen viele technisch-taktische Übungen, die Mensuren, Zufechten, Abzug und andere taktische Elemente in das Solotraining einbringen und den Übergang zum Partnertraining begleiten.
Flowdrills, also Drills, die keinen festen Endpunkt haben und flüssig und gleichmäßig über einen langen Zeitraum mit einem Partner durchgeführt werden stellen eine zusätzliche Lehrmethode dar, die hilft, zu lernen, seine Häue zielgerichtet aber mit mäßiger Kraft und Körperbewegung auszuführen. Zusätzlich helfen sie dem Schüler auch die Bewegungen gegnerischer Angriffe erkennen zu lernen, sodass diese im Gefecht schneller erkannt werden. Aber wie alle Drills, sollen auch die Flowdrills letztlich ein bestimmtes Verhalten/Bewegung bis zur Reflexartigkeit schulen, sodass etwa der Bogen als Verteidigungselement im Gefecht abläuft ohne die kognitiven Denkmuster zu beeinflussen, die für den Angriff und taktische Entscheidungsfindungsprozesse notwendig sind. Das Hauen richtig zu lernen erfordert viel Zeit und Disziplin. Nur wer bereit ist sich die nötige Zeit zu nehmen und in RUHE und langsam zu üben, kann die gewünschte Perfektion in angemessener Zeit erreichen. Wer zu schnell zum Ziel will und nicht die notwendige Ruhe aufbringen kann, wird zu großer Wahrscheinlichkeit länger brauchen. Denn in der Bewegungslehre ist ein großes Prinzip, dass man Bewegungen besser lernt, je langsamer man sie ausführen kann. Daher ist seit 13 Jahren mein MOTTO: "LANGSAM ist FLÜSSIG und FLÜSSIG ist SCHNELL!"
Viel Spaß beim Lernen der Häue! Vielleicht sehen wir uns bei einem Seminar.
[1] Joachim Meyer, Gründtliche Beschreibung der Kunst des Fechtens, Strasburg 1560.
[2] Ebenda Dussack, Kapitel I, S. I r. .
[3] Ebenda Dussack, Kapitel III, S. II v. .
[4] Beherrschen beudeutet in der Lernzieltaxonomie die höchste erreichbare Lernzieltufe (eeine Bwegung unter allen(Schwertsmöglichen) Bedingungen ausführen können)
[5] Wie Anm. 1 im Vorwort.
[6] Bilder aus Andrzej Zablocki, Funkcjonalno-konstrukcyjna charakterystyka rekojesci dwoch typow polskich szabel bojowych z wieku XVII (Construction and function of two Polish war sabre hilts of the 17th century) [in] Studia do dziejow dawnego uzbrojenia i ubioru wojskowego, T. V, Krakow 1971]