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„Nein, das ist halt meine Interpretation!“ - Vom Begriff „Interpretation“ und seiner Anwendung


Im Gegensatz zum naiven Verstehen macht Interpretation durch bewusste Reflexion, durch verständliche Argumentation und nachvollziehbare Belege das Urteil für den Leser nachvollziehbar. Selbst wenn sie nicht immer eindeutig ist – so können zwei Interpreten ein Werk unterschiedlich interpretieren –, ist Interpretation aber niemals beliebig! (http://www.schule-der-rhetorik.de/interpretation.htm vom 31.07.2017)


Seit vielen Jahren werden nun historische Texte zu Kampfkünsten erforscht und es wird versucht diese Kunst wieder zu beleben. Bei der theoretischen Arbeit mit den Texten zu spezifischen Bewegungsabläufen wird in der Regel von Interpretation gesprochen. Doch warum eigentlich? Was ist eine Interpretation und warum wurde und wird immer gern dieses Wort genutzt? Als Historiker und als Geisteswissenschaftler liegt mir sehr viel an diesem Thema.

Wofür steht eigentlich das Wort Interpretation? Aus dem lateinischen Wort Interpretation abgeleitet heißt es so viel wie „Auslegung, Übersetzung, Erklärung“ und beschreibt grob gesagt das Verstehen oder eine subjektiv als plausibel angesehene Deutung von etwas Gegebenem oder wenigstens von etwas Vorhandenem. In unserem Beispiel würde sich dies auf die subjektive Deutung eines Textes beziehen, der ursprüngliche eine fest definierte Bewegung oder einen Bewegungsablauf beschreiben sollte.

Es geht daher um eine subjektive Wahrnehmung. Diese scheint für viele auch sehr wichtig zu sein, denn oft, wenn man eine Diskussion zu Technikabläufen hat, in welcher man mit Fakten Argumentiert, ist der letzte Satz: „Naja, ist halt eine andere Interpretation und das ist meine Interpretation“. Doch wie sind beide Interpretationen denn entstanden? Nach welchen Kriterien wurde gearbeitet? Mit welchen Methoden ist der Interpret vorgegangen? Wurden z.B. Quellenkritik und Quellenanalyse verfasst oder vorhandene gelesen?

Der Begriff Interpretation sorgt daher zwar oft dafür, dass heiße Diskussionen schnell und freundlich beendet werden können. Auf der anderen Seite lässt er aber oft auch eine auf Fakten basierende Diskussion, die tolle Erkenntnisse weitertragen könnte, verpuffen, indem wichtige Informationen zu dem Weg, wie es zu dieser Interpretation kam, offen im Raum stehen gelassen werden. Der Begriff Interpretation scheint daher oft wie ein Schutzmechanismus, um die eigenen Fehlurteile abzuschmettern. Indem etwas Interpretation genannt wird, kann es nicht mehr in ein Verhältnis gesetzt werden. Es gibt kein richtig und falsch und jeder kann letztlich aus dem Text machen, was er möchte, wodurch wiederum alle Beteiligten glücklich sind.

Der Begriff Interpretation ist im Falle der Erforschung der alten Kampfkünste auf Grundlage von Texte und Bild durchaus angebracht und sinnvoll. Doch scheint es, als würde er oft missverstanden. Interpretation macht in vielen Fällen eben nur Sinn, wenn man nach einer festgelegten Methodik arbeitet, die auch Vergleiche zulässt. Daher gibt es seit Jahrhunderten viele verschiedene Versuche Interpretationen auf verschiedenen Fachgebieten durch gleichende Analysestrukturen in geregelte Methoden zu bringen, damit es im Diskurs eine Möglichkeit gibt, die Schlussfolgerungen und den Weg zu diesen zu vergleichen. Dabei kommt es letztlich natürlich auf den Kontext an, also die Disziplin, in welcher eine Interpretation stattfinden soll (bsp. historische Quellen, Lyrische Werke oder Interpretation von Sekundärliteratur). Selbst in einem lyrischen Werk, wie etwa einem Gedicht, dass grundsätzlich zu vielfältigen und individuellen Deutungen des Werkes anregen kann und teilweise auch soll, gibt es feste Interpretationsmethoden. Bei den historischen Texten zu Kampfkunstbewegungen haben wir doch eine andere Zielstellung. Wenngleich auch der Verfasser eines Gedichtes eine eigene Zielstellung mit seinem Text verfolgte, so ist diese doch sehr differenziert von jener eines Kampfkunstlehrers, der feste Bewegungsabläufe beschreiben möchte, damit sie von einer "bestimmten Zielgruppe" nach ihm verstanden und angewendet werden können. Zumindest werden sie für jene verstädnlich sein, die jene Fachsprache seiner „handwerklichen“ Texte verstehen können. Wenn also ein solcher Text interpretiert werden soll, um die Bewegungen wieder möglichst korrekt darstellen zu können, ist das Ziel auch den Autor dieser Texte und seine Zielstellung zu verstehen, denn es soll ja möglichst genau der Bewegungsablauf gezeigt werden, der auch vom Autor gemeint war. Um dies deuten zu können, bedarf es jedoch wiederum bestimmter Kenntnisse und Fertigkeiten sowie einer Methodik zur Erschließung. So sollte eine gute Interpretation erst auf eine Quellenkritik und Quellenanalyse erfolgen. Diese sind bisher nur selten für die bekannten Quellen vorhanden. Erst dann folgt die Interpretation nach einer leitenden Struktur. Diese Methodik kann dann die Ergebnisse darstellen und letztlich mit anderen Interpretationen vergleichbar machen. Ein einfaches Video, welches den Originaltext, seine "moderne Übersetzung" und seine „gedachte“ praktische Darstellung zeigt, kann dabei keine Abhilfe sein. Wenngleich bei dieser Methode mehrere Sinne, Lernmethoden und auch Arbeitsweisen angesprochen werden, so ist dabei kein Weg zum Ziel erkennbar. Der Vergleich mit anderen erfolgt letztlich audiovisuell und es gibt keine Argumente außer dem „darstellerischen Können" der auftretenden Personen. Denn was im bewegten Bild gut aussieht, kann im Gefühl mit Körper und Waffe schon wieder ganz anders sein. Dieser Schluss führt bereits zu der Annahme, dass ein Interpretationsschema in dieser Disziplin grundsätzlich sowohl im textlichen Bereich der Interpretation, wie auch im praktischen Bereich der Interpretation Methoden besitzen muss, welche in der abschließenden Darstellung der Interpretation einen umfassenden Vergleich auch im haptischen Bereich ermöglichen. Demnach müssen auch die körpermechanischen und schwertphysikalischen Verhältnisse einfließen und erläutert werden, die sich später nur aus dem praktischen Erfahren dieser Interpretation nachvollziehen lassen können.

Ein einfaches Beispiel. Es gibt Bewegungen in der Kampfkunst, die bei einer audiovisuellen Darstellung für den Beobachter gleich aussehen, obwohl sie sich anders anfühlen, weil die Kräfte von Waffe und Körper anders wirken. Ebenso können rein visuelle Darstellungen dazu führen, dass vier verschiedene Techniken im Standbild gleich aussehen. Hier möchte ich als Beispiel die Huten nehmen. Man kann in einer Hut wie etwa dem „Ochs“ stehen. Man kann aber auch in die Hut hauen, zucken oder gar winden. Und diese wiederum auf verschiedenen Möglichkeiten. Zusätzlich macht es einen Unterschied, ob jemand einfach an mein Schwert haut, wenn ich in der Hut stehe oder ob ich in einer Bewegung mein Schwert an seinen Hau winde. Momentaufnahmen des „Anbindens“ der Klingen würden allerdings nahezu gleich aussehen.

Daher ist es essentiell, dass bei Technikinterpretationen stets eine festgelegte Interpretationsstruktur verfolgt wird, welche die Grundlage für eine Argumentationsstruktur mit Fakten darstellt. Dabei geht es letztlich nicht einmal unbedingt darum, dass eine grundsätzlich einheitliche Interpretationsstruktur genutzt wird, sondern vielmehr darum, überhaupt eine nachvollziehbare Argumentation auf Grundlage einer strukturierten Interpretation zu liefern, um dem Beobachter die Interpretation nachvollziehbar zu machen.

Um eine solche Interpretation zu bewerkstelligen, die sowohl eine Textinterpretation, als auch eine Bewegungsinterpretation mit Waffe/Werkzeug beinhalten soll, müssen beim Interpreten mehrere Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse vorhanden und ausgeprägt sein oder zukünftig erworben werden. Für die Arbeit mit dem Text und dessen Analyse muss etwa ein tiefgreifendes Verständnis der zeitgenössischen Sprache und der kulturellen, historischen und soziologischen Umstände der Entstehungszeit des Werkes und in Bezug zum Autor vorhanden sein. Am Beispiel deutscher Kampfbücher aus dem Mittelalter etwa setzt dies eine muttersprachliche oder vergleichbare Kenntnis der deutschen Sprache ebenso voraus, wie eine tiefgreifende Erfahrung und Kenntnisse mit der zeitgenössischen Sprache und dem regionalen Dialekt. Sind die Übersetzungen aus historischen deutschen Sprachen in modernes Deutsch schon fehlerbehaftet, so sind erst recht die meisten Übersetzungen deutscher Kampfbücher in das Englische sehr mangelhaft und führen schließlich zu falschen Schlussfolgerungen in der praktischen Interpretation. Ist ein Text passend transkribiert, übersetzt und(!) eingeordnet worden, sodass ein umfassendes Verständnis des Textes vorhanden ist, kann dessen tatsächliche Interpretation beginnen. Über verschiedene Methoden können nun Textstrukturen, Zielstellungen, und viele weitere Punkte erarbeitet werden, um das gesamte Werk inklusive der einzelnen Techniken detailliert zu interpretieren. Neben den sprachlichen und sprachfachlichen Kenntnissen und Fertigkeiten gibt es also z.B. auch Fertigkeiten aus der Literaturforschung, der Geschichtsforschung, der Gesellschaftsforschung und anderer Teilbereiche (Z.B. Kodikologie), die notwendig sind, um eine umfassende und nachhaltige Interpretation des Textes zu gewährleisten. Ein sehr grundlegender Themenbereich ist auch das Thema Gewalt, das oft allzu sehr vernachlässigt wird, wenn es um die soziologischen Zusammenhänge geht.

Um nun diese Textinterpretation in ein Bewegungsverständnis zu bringen sind weitere Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse notwendig. Zum einen verlangt diese Zielstellung ein umfassendes Bewegungsverständnis, welches sich nur durch eine umfassende Erfahrung in diesem Bereich, etwa durch tiefgreifende und mehrjährige Erfahrungen in Bewegungs-Sportarten, erlangen lässt. Da es aber auch um den zu bewegenden Gegenstand geht, in diesem Fall ein Schwert, gilt es auch ein umfassendes Wissen und Kenntnisse um die Bewegungseigenschaften von Schwerter (Schwertphysik oder Schwertdynamik) aber auch um die materiellen Eigenschaften etwa von Stahl vorzuweisen. Um all dies gewinnbringend in einer Interpretation transparent und vergleichbar zu machen, bedarf es nun auch einer Fachsprache zu den verschiedenen Teilgebieten, die der Beobachter/Leser verstehen und verarbeiten kann. Bei den bekannten Teilgebieten der Geisteswissenschaften und der Textanalyse und Interpretation gibt es dazu festgeschriebene Termini derer man sich bedienen kann. Im Bereich der Körpermechanik und Bewegungslehre kann auch auf einen anerkannten Fundus an Termini zurückgegriffen werden. Wobei es jedoch zielführend ist, die in den Texten verwendeten Fachbegriffe zu nutzen und zu definieren. Denn nur, wenn mit der Fachsprache etwa der Kampfbücher selbst diskutiert wird, kann ein passender Vergleich entstehen. Aktuelle Tendenzen z.B. die Fachbegriffe der „Lichtenauertradition“ in moderne oder gar fremdsprachliche Begriffe umzuformen, können dabei keinen Erfolg versprechen. Sie behindern vielmehr einen zielführenden Diskurs. Im Bereich der Schwertphysik/Schwertdynamik gibt es aktuell einen Findungsprozess und Diskurs, der uns in den kommenden Jahren hoffentlich einen Standard an Fachbegriffen mit dazugehörigen Definitionen bringen wird, um eine vergleichende Interpretation der Schwertbewegungen zu ermöglichen. Im Bereich der Materialkunde ist dies kaum ein Problem, da Stahl und dessen Sorten und Eigenschaften hinreichend erforscht, klassifiziert, normiert und festgehalten sind. Ziel sollte es daher sein, für sich selbst, seinen Verein oder seine Schule ein festes Interpretationsschema zu haben und zu nutzen, um zum einen eine gute Argumentationsstruktur zu haben und zum anderen auch eine vergleichende Forschung zu vereinfachen. Es gibt viele Interpretationsschemata aus den Geisteswissenschaften, um Texte in verschiedene Richtungen zu interpretieren. Aus diesen gilt es sich ein passendes Schema zu bauen und um weitere Fragestellungen zu erweitern, um ein Schema zu haben, dass Fragestellungen zur praktischen Umsetzung einbezieht.

Gerade bei der Technikinterpretation sollte man sich zusätzliche Fragestellungen erarbeiten. Ich nutze zum Beispiel auch ein zusätzliches Schema aus der Bewegungsanalyse, welches ich bereits 2016 auf den Trainertagen des DDHF theoretisch und praktisch vorgestellt habe.

Hier einige Zitate, die Denkanstöße geben können: Im Gegensatz zum naiven Verstehen macht Interpretation durch bewusste Reflexion, durch verständliche Argumentation und nachvollziehbare Belege das Urteil für den Leser nachvollziehbar. Selbst wenn sie nicht immer eindeutig ist – so können zwei Interpreten ein Werk unterschiedlich interpretieren –, ist Interpretation aber niemals beliebig! (http://www.schule-der-rhetorik.de/interpretation.htm)

"Interpretation ist ein Bildungsprozeß, der - statt nur Faktenwissen weiterzugeben - das Enthüllen von Bedeutungen und Zusammenhängen unter Nutzung originaler Objekte, durch Erfahrungen aus erster Hand und mit veranschaulichenden Mitteln bezweckt."

Einige weiterführende Links zu den Themen Quellenkritik, Quellenanalyse und Quelleninterpretation:

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