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Incontro: ein Trefferreglement um 1900



Seit Menschen sich mit Waffen duellieren und bekämpfen, ist der Doppeltreffer ein Thema, dass sowohl im Ernstkampf, vielmehr aber noch im Schimpfkampf ein Problem darstellt. Bilder dazu finden sich bereits in der ersten bebilderten Fechtepoche im deutschsprachigen Raum.[1] Im modernen olympischen Fechtsport gibt es verschiedene Möglichkeiten der Trefferwertung und des Umgangs mit Doppeltreffern. Auch im Historischen Fechten haben sich unterschiedliche Wertungen und Regeln entwickelt.

Am vergangenen Wochenende (03.-04.11.2018) haben wir ein historisches Regelwerk aus der Zeit um 1900 gefochten, untersucht und beurteilt, welches seinen Ursprung in der italienischen Fechtschule um Luigi Barbasetti hat. Diese Fechtschule wurde noch im 19. Jahrhundert in weiten Teilen in die Ausbildung der Fechtlehrer der K.u.K. Monarchie übernommen und das Reglement in den Armeefechtturnieren genutzt. Ziel des italienischen Reglements war es, die Fechter zu einem realistischen Fechtverhalten zu erziehen und dieses Verhalten unter möglichst realistischen psychischen Belastungen bzw. Stress durch Wettkämpfe zu messen.

Dieses Reglement ist von einer einzigartigen Quellenmenge mit höchstem Detailgrad umgeben, sodass sich sowohl das Reglement, Turnierabläufe sowie die gesamte Fechtlehre und Ausbildung nachvollziehen lassen. Sogar über Kampfrichter und deren Kompetenzen wird berichtet. Zusätzlich beschreibt uns ein erfahrener Offizier und Duellfechter dieses System aus allen notwendigen Facetten, indem er sogar den Zusammenhang zwischen Reglement und Ernstkampf darstellt.

Als wir dieses Reglement am vergangen Wochenende in einem Workshop mit integriertem Probeturnier durchfochten, waren wir erstaunt, wie gut dieses System die Fechter erzieht und zu einem realistischen und technisch-taktischen Fechten zwingt. Vor allem macht es das Fechten und die Entscheidungen in der Trefferwertung für alle weitaus nachvollziehbarer, da die Entscheidungen entsprechend den Regeln/Prinzipien der Fechtkunst fallen.

Der italienische Oberbegriff für dieses Reglement nennt sich Incontro (ital. "das Treffen", "der Kampf").

Das Incontro wurde erarbeitet, um bei Fällen, in denen beide Fechter einen Treffer erhalten auf Basis der fechterischen und kämpferischen Prinzipien eine Entscheidung zu treffen, wer richtig und wer falsch gehandelt hat. Es wird also grundsätzlich davon ausgegangen, dass in den meisten Fällen zwei Treffer fallen, weil einer der beiden Fechter ein Fehlverhalten begangen hat, welches er vermutlich in einem Ernstkampf nicht getan hätte. Der Verfasser der Quelle, Oberleutnant Bartunek, der selbst für den Ernstkampf im Duell und Krieg ausgebildet wurde und selber Fechtlehrer in der K. u. K. Truppe war, selbst Duelle gefochten und ihnen beigewohnt hat, gibt hierfür an, dass die meisten Doppeltreffer entstehen, weil einer der Fechter seinen natürlichen Schutzinstinkt zur Parade vernachlässige. Tatsächlich gleichzeitige Doppeltreffer sogenannte Tempo Communi, bei denen beide Fechter zeitgleich angreifen, entstünden nur sehr selten. Daher wird versucht denjenigen zu ermitteln, der sich nicht an die Regeln/Prinzipien der Kunst gehalten. Die Reihenfolge der Treffer oder deren Stärke haben dabei keine Bedeutung.

"Um Kontroversen und Streitigkeiten über die Gründe eines Incontros zu vermeiden, führen wir hier die Grundsätze an, nach welchen man sich in einem solchen Falle zu halten hat. Dieselben sind nicht nur nach den genauesten Grundsätzen der Kunst, sondern auch nach den allgemein gültigen Gebräuchen bei Turnieren angegeben.

Incontro (Doppelhieb) heisst sich gegenseitig gleichzeitig oder fast gleichzeitig treffen, während eine fechterische Action zur Entwicklung gelangt." (Tenner, Barbasetti Säbelfechten S. 167)

Grundsätzlich unterscheidet man die Incontri daher nach den Schuldigen bzw. Verursachern in Incontri versacht durch:

1. den Angreifer

2. den Verteidiger

3. beide Fechter.

Für jede der drei Kategorien werden in den Fechtbüchern des Meisters Luigi Barabasetti, der in Österreich lehrte und die italienischen Regeln maßgeblich dort verbreitete, Beispiele gebracht, sodass die Prinzipien verständlich werden.

Ich möchte hier kurz einige Beispiele anführen, bei denen ich die modernen Fechtbegriffe versuche durch passende der deutschsprachigen Tradition des 14.-16. Jahrhunderts auszutauschen, sodass sie für Fechter mit älteren Quellen verständlicher sind.


1. Vom Angreifer verursachte Incontri

a) Wenn wir den Gegner auf des Verteidigers Klinge angreifen, um diese zu beseitigen, dieser ohne Klingenbindung durchwechselt und wir den Angriff unbekümmert fortführen und treffen.

  • In diesem Falle haben wir versucht des Gegners Klinge aus der Bahn für unseren Angriff zu beseitigen. Der Verteidiger aber hat dies erkannt und durchgewechselt, um daraus in unser Angriffstempo zu treffen. Da unsere Aktion misslungen ist, sind wir nun zur Parade verpflichtet. Setzen wir den Angriff fort UND werde getroffen, dann bekommt der Verteidiger den Punkt zugesprochen.

  • Nicht zu vergessen ist hierbei, dass diese Aktionen für den Angreifer nur dann negativ bewertet werden, wenn er ebenfalls getroffen wurde. Schafft er die Aktion ohne getroffen zu werden, gibt es keine Bewertung der Aktion als Incontro. Es hat sich in unserer Erfahrung gezeigt, das dieses Denken zu den meisten Missverständnissen führt.

b) Wenn der Angreifer z.B. einen Hau macht und der Verteidiger ein Enschießen, einen Vorhieb auf den Unterarm oder ein Durchwechseln vortäuscht (Finte/Fehler), wir diese Finte parieren und unseren Angriff danach einfach fortsetzen und bei unserem Treffer getroffen werden, dann bekommt wiederum der Verteidiger den Punkt zuerkannt.

  • In diesem Fall sind wir auf die Finte/Fehler des Verteidigers reingefallen und habe diese versucht zu versetzen. Der Verteidiger hingegen hat unsere Aktion erfolgreich zunichte gemacht und trifft mit seiner Aktion. Dazu findet sich folgendes Zitat.

"Die Entschuldigung,dass man im Angriffe sei, ist in diesem Falle nicht stichhältig, denn, wer sich durch eine Finte in's Tempo dazu beeinflussen lässt, eine Parade zu nehmen, verliert das Recht, seinen Angriff fortzusetzen, und thut er es doch, so zeigt er wenig fechterische Empfindlichkeit, was am Kampfplatze im Ernstfalle zu bösen Consequenzen führen würde." (Tenner, Barbasetti Säbelfechten, S. 168)

  • Kurzum der Angreifer nimmt den Treffer des fintierenden Verteidigers in Kauf. Hier sieht man sehr schön den erzieherischen Effekt dieses Reglements. Denn natürlich kann so was in einem Ernstkampf passieren. Aber wir wollen unsere Fechter ja dazu erziehen, das sie diese Fehler eben nicht machen.

c) Wenn der Angreifer im Versuch einer Finte bzw. eines Fehlers den Gegner seine Klinge berühren lässt(Parade) und trotzdem seinen Angriff fortsetzt.

  • Hier erwirbt der Verteidiger das Recht zu ripostieren (Kontern/Antworten), sodass ihm im Falle eines Doppeltreffers der Punkt zuerkannt wird. Wichtig! IM FALLE EINES DOPPELTREFFERS. Sollte der Angreifer die Aktion schaffen, ohne getroffen zu werden, bekommt er auch den Punkt!

"Wer eine Finte ausführt, will eine Parade des Gegners hervorrufen, welche er sodann umgeht; hat er dies mangelhaft ausgeführt, d. h. der Gegner seine Klinge berührt, so hat derselbe das Recht, anzunehmen,dass der Angriff beendet sei, und kann daher ripostiren." (Tenner, Barbasetti Säbelfechten S. 168)

2.) Vom Verteidiger verursachte Incontri:

a) Wenn man gegen einen einfachen Angriff anstatt zu versetzen einen Vorhieb oder ein Einschießen ausführt, jedoch selbst getroffen wird.

b) Wenn man nach einem Versetzen so viel Zeit vergehen lässt, dass der Gegner zum erneuten Angriff verleitet wird. ("Wer pariert, hat ohne Verzug zu ripostieren, sei es auch langsam)

  • Gemeint ist hier also der Fall, dass der Verteidiger versetzt und z.B. in der Bindung ohne Konter stehen bleibt oder verharrt.

c) Wenn man dem Gegner in seinen Angriff eine Finte z.B. ein angetäuschtes Einschießen setzt, dieser aber ohne die Finte anzunehmen seinen Angriff in erster Absicht durchführt und sich beide gegenseitig treffen.

  • In diesem Fall hat der Verteidiger eine schlechte Finte gemacht und sich nicht auf seine Verteidigung konzentriert, während der Angreifer richtig gehandelt hat, indem er sich von der Finte nicht hat beirren lassen.

3.) Von beiden Angreifer und Verteidiger verursachte Incontri (Tempo Communi)

a) "Wenn der Angreifer die ihm entgegengestellte Klinge beim Angriffe nicht entfernt und durch dieselbe getroffen wird, wie auch der Angegriffene nichts zu seiner Vertheidigung that" (ebenda S.170)

  • Hier hat der Angreifer die Klinge des Gegners im Weg gehabt und nicht beseitigen können und der Verteidiger hat nicht mal versucht der Klinge des Angreifers entgegen zu wirken. Der Angreifer ist verpflichtet die im Weg befindliche Klinge zu beseitigen bzw. dieser aus dem Weg zu gehen(umgehen). Der Verteidiger hingegen muss sich gegen Angriffe verteidigen.

  • Hätte der Angreifer sich nicht treffen lassen, hätte er ja den Punkt bekommen. In eine Klinge zu laufen ist genauso gegen die Prinzipien, wie sich treffen zu lassen. Hätte der Verteidiger eine Körperparade (Ausweichen etc.) gemacht, hätte er wiederum den Punkt bekommen.

b) "Wenn beide Gegner, nachdem sie auf den gegenseitigen Angriff gewartet haben, endlich gleichzeitig angreifen und sich treffen. Wer angreift, muss den Gegner zur Vertheidigung zwingen. In diesem Falle begehen beide Fechter den gleichenFehler." (ebenda S. 170)

  • Dies ist der klassische Doppeltreffer, in welchem beide den Angriff tatsächlich in gleicher Zeit (Tempo Commune) beginnen.

Nachdem ich am vergangen Wochenende in dieses Reglement eingewiesen hatte, dachten wir alle, dass es sehr schwer wird diese Trefferegelung anzuwenden. Es zeigt sich aber, dass das historische Gesamtregelwerk des Oberleutnant Bartunek in allen Verhaltensregeln und Abläufen vorzüglich darauf ausgerichtet ist, dass die Fechter und Kampfrichter dies auch gut umsetzten können. Allein dadurch das die Fechter beim Erhalt eines Treffers laut "Treffer" rufen und in ihrer Situation stehen bleiben und verharren, gibt dem Kampfrichter die Möglichkeit sich die letzte Aktion im Kopf sofort wieder vor Bild zu holen und eine regelkonforme Beurteilung der Punkte abzugeben. Sicher gab es an diesem Turnier Fehlentscheidungen, da wir alle nur Menschen sind. Aber die disziplinierte Ablaufregelung und die einzuhaltenden Normen und Formen führten letztlich dazu, dass es bis auf eine kurze Ausnahme es keine Diskussionen und Streitigkeiten gab.

Dieses Regelwerk wurde von allen Beteiligten als sehr sinnvoll und lehrreich angesehen. Das wichtigste dabei sind die ausbilderischen und erzieherischen Aspekte, die diese Turnierform mit sich bringt. In ihr scheint sich die Erfahrung vieler erfahrener Fechter aus Schimpf und Ernst zu vereinigen.

Dieses alte Reglement wird nun in moderner Form zu einem Regelwerk für IN MOTU Turniere zusammengefasst, sodass wir, gemäß den Wünschen der Teilnehmer ab 2019 mehr solche Turniere und vor allem in regelmäßigen Abständen anbieten werden (wenigstens einmal im Quartal). Ein Video zur Erklärung des Incontro folgt in den nächsten Tagen!

[1] Siehe Bild 1. Paulus Hector Mair,


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