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Von Karate und Fechten - Deutsche Kampfkünste


Wer die Begriffe Kampfkunst oder Kampfsport hört, der denkt meist an asiatische Kampfkünste. Die asiatischen Kampfkünste wie das japanische Karate oder das chinesische Wing Tsun sind Begriffe, die inzwischen zum kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft gehören. Wenn man etwa in Erfurt Werbung für "Chinese Martial Arts" oder "Chinesische Kampfkünste" hört bzw. sieht, dann können sich die meisten etwas darunter vorstellen. Gefördert durch die mediale Darstellung der 80er und 90er Jahre, haben sich asiatische Kampfkünste als das "non plus ultra" der Kampfkunstkultur eingebrannt. Wer etwa Schwertkampf lernen möchte, der sucht nach japanischem Kendo oder Kenjutsu oder chinesischem Schwertkampf. Wer sich mit seinem Körper durch Kampfkunst gesund halten möchte oder gar sportliche Wettkämpfe zu betreiben plant, der lernt Karate, Judo oder Taekwondo. Auch der Hype um das chinesische Wing Tsun ist letztlich nur Kinofilmen zu verdanken, wie etwa der Reihe um "IP MAN".

Viele dieser asiatischen Künste legen Wert auf das Alter ihrer Lehren und Traditionen. Einige japanische Schwertkampfschulen versuchen sich so zum Beispiel bis in das 16. Jahrhundert zu legitimieren. All diese Künste und Sportarten sind faszinierend! Doch ich finde noch viel faszinierender, dass unsere eigene Kampfkunstkultur in Europa und speziell in Deutschland vollkommen in den Hintergrund geraten ist, ja gar ins Lächerliche gezogen wurde und wird. Doch wie steht es eigentlich um Kampfkünste in Deutschland?

Ich möchte hier eine kleine Geschichte der Kampfkünste in Europa aber speziell im deutschsprachigen Gebiet abreißen. Der heutige Begriff "Kampfkunst" ist letztlich durch die Übersetzung der englischen Sprache von "Martial Arts" vermutlich in den 70er/80er Jahren nach Deutschland gekommen. In der deutschen Sprache wurden Künste, die sich mit dem Kampf befassen unter den Begriffen Fechten oder Schirmen bzw. Fechtkunst und Schirmkunst zusammengefasst. Fechten bedeutet dabei so viel wie das heutige Wort Kampf, da auch das englische "(to) fight"(dt. kämpfen) ein Verwandtschaft mit dem alten deutschen Verb "fechten" hat. Das Verb "schirmen" bedeutet so viel wie "schützen" und kann mit dem Begriff der Verteidigung/Selbstverteidigung gleichgesetzt werden. Das Wort Fechten wird bereits im Frühmittelalter gebraucht und beschreibt bis in das frühe 20. Jahrhundert alle Künste des Kampfes außer den "Kriegskünsten", welche eine zusätzliche Kategorie darstellen.

Diese Fechtkünste werden wiederum unterteilt in Ringen und Fechten. Ringen bezeichnet alle Künste, die in der engsten Distanz stattfinden also den Kampf ohne Waffen mit allen Möglichkeiten des eigenen Körpers (Faustkampf, Fußkampf, Würfe etc.) und mit sehr kurzen Hieb- & Stichwaffen, wie kürzeren Messern und Dolchen. Das Fechten bezeichnet den Kampf mit allen Waffen, die eine größere Reichweite zum Gegner schaffen, sodass der Gegner nicht direkt mit den eigenen Händen und Füßen angegriffen werden kann. Das Aussehen und Design der Waffen variiert dabei in der Zeit von 1300 bis in das 20. Jahrhundert stark, während sich die Kampftechniken nur marginal entsprechend der gesellschaftlichen und technischen Gegebenheiten anpassen. Typische Waffen sind hier Klingenwaffen mit geraden und gebogenen sowie einseitig und zweiseitig geschärften Klingen wie etwa Schwerter, Messer, Säbel und Degen um nur einige Namen zu nennen. Zusätzlich zählen zum Fechten aber auch Waffen die aus vorwiegend stumpfen Gegenständen bestehen, wie etwa der Stock, die Keule, die Stange, der Spieß und Stangenäxte (Hellebarde, Mordaxt und andere). Ab dem 16. Jahrhundert wird zunehmend auch mit dem Gewehr gefochten, welches später mit aufgesetzter Klinge auch als Stichwaffe genutzt werden konnte. Die Möglichkeiten sind also sehr vielfältig bis hin zu Waffen mit Ketten und Seilen, wie etwa Formen von Dreschflegeln. Es gab also über Jahrhunderte eine Vielfalt an Waffen und Künsten, die den Umgang mit diesen Waffen lehrten und große Perfektion erlangten. Auch in den übrigen Ländern Europas wurden diese Künste gelehrt und es gab einen regen Austausch zwischen den europäischen Regionen, sodass es nahezu typisch war, das etwa werdende deutsche "Fechtmeister/ Schirmmeister" bereits im 14. Jahrhundert nach Italien, Frankreich oder in andere Länder als Gesellen wanderten, um die Fechtkunst auf verschiedene Weise zu erlernen und sich ein Umfassendes Handwerk anzueignen. Eine Wandertradition, die es in allen Handwerken bis in das 20. Jahrhundert hinein gab und es manchmal auch heute noch gibt.

Woher wir das alles sagen können? Ganz einfach, weil es aufgeschrieben wurde und uns in Form von Texten überliefert ist. Ja selbst die Lehren der alten Meister sind seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert in großen Teilen erhalten, sodass wir diese heute nutzen, um die Fechtkunst wieder zu lernen und zu lehren. Damit lassen sich unsere Künste schriftlich weiter zurückverfolgen als etwa japanische Schwertschulen. Die Zahl der historischen Texte und Lehrbücher ist inzwischen gewaltig, sodass man sicher allein für die deutschsprachigen Lehren mehrere Leben bräuchte, um sie alle zu erlernen.

Auch wenn die Fechtmeister stets unterschiedliche Schwerpunkte in ihren Fechtweisen hegten, so ist die Fechtkunst als solche in ihrem Kern stets gleich geblieben, während sich vorwiegend das Fachvokabular und oftmals auch die Sprache änderten. Während das Mittelalter nach aktuellem Kenntnisstand von deutschen und italienischen Lehren dominiert war, so setzen sich ab dem 17. Jahrhundert zunehmend Lehren in italienischer, französischer und spanischer Sprache durch. Das Fechten und übrigens auch das dazugehörige Turnen, welches die körperliche Grundlage bildete, waren seit dem Mittelalter ein im Deutschen Reich beliebte "Freizeitaktivität", welche neben der von Italienern gelobten Wehrhaftigkeit der deutschen Städte auch die Gesundheit und den Charakter formten. Mehrfach werden Lebensweisheiten genannt, die etwa einem Konfuzius in nichts nachstehen. Zudem wird immer wieder auf den Nutzen für das Erlernen strategischen Denkens verwiesen, was wiederum eine hohe Bedeutung für Adel und Militär hatte. Kurzum Fechten war eine Kunst, die den Kosmos aller Bevölkerungsschichten im täglichen Leben vom Mittelalter bis in das frühe 20. Jahrhundert erreichte. Untrennbar verbunden ist die Fechtkunst mit dem europäischen Kriegertum. Beginnend bei der europäischen Kriegerelite der mittelalterlichen Ritter haben sich deren christlich-ritterliche Tugenden, Idealen und Besonderheiten bis hin zum heutigen Berufskrieger der Neuzeit durchgängig erhalten. So wird die Fechtkunst durchgängig als ritterliche Kunst bezeichnet und noch heute sind die christlich-ritterlichen Tugenden fester Bestandteil von militärischer Tradition und Selbstverständnis der europäischen Streitkräfte und können daher auch heute noch in Fechtkursen für die Entwicklung des eigenen Charakters geschult werden.

Als tugendhafte Beispiele:

  • Tapferkeit

  • Disziplin

  • Ritterlichkeit

  • Anstand

  • Treue

  • Bescheidenheit

  • Kameradschaft

  • Wahrhaftigkeit

  • gewissenhafte Pflichterfüllung

Noch vor dem zweiten Weltkrieg gab es Kadettenanstalten, in denen Fechten als festes Ausbildunsgebiet gelehrt wurde und es gibt noch einen mir bekannten Fechtlehrer aus Polen, der dies noch selbst erlebt und durchlaufen hat, Zbigniew Czajkowski. Das Fechten wurde wie der Schwertkampf in Japan nach dem zweiten Weltkrieg für einige Jahre verboten. Es wandelte sich fortan zu einem reinen Sport und kaum jemand übte noch mit regulären Waffen sondern nur noch mit stark vereinfachten Sportgeräten, sodass sich Fechten als Sport bis hin zu einer Olympischen Sportart entwickelte. Aus dieser Entwicklung der letzten fast 80 Jahre hat sich der Begriff Fechten leider neu konstituiert, sodass er heute weitestgehend nur noch als Synonym für die gleichnamige olympische Sportart bekannt ist. Diese Tatsache verschleiert leider den wahren und ursprünglichen Begriff des Fechtens und hat dazu geführt, dass im Kollektiv kaum etwas zu unserer eigenen Kampfkunsttradition bekannt ist.

Glücklicherweise findet seit nunmehr ca. 25 Jahren ein zunehmend starker Diskurs von Forschung und Lehre mit dem Gegenstand unserer europäischen und hier im speziellen deutschen "Kampfkunstkultur" statt.

Wenn ich also an meiner Schule von "Deutschen Kampfkünsten" spreche, so hat dies mehrere Gründe. Zum einen "Deutsch" weil ich mich als deutschsprachiger Historiker vorwiegend mit Texten und Lehren in meine eigenen Muttersprache beschäftige und nach diesen Lehre, denn nur dort bin ich auch ausgebildeter Fachmann. Zum anderen "Kampfkünste" da der Begriff "Fechten" leider für Viele noch eine Synonym für das olympische Fechten ist. An meiner Schule haben wir einen Schwerpunkt auf die Künste der deutschsprachigen Meister des 14. bis 16. Jahrhunderts und nehmen regelmäßig Bezug zu jüngeren Meistern und Büchern des 17. bis 20. Jahrhunderts. Gern werden aber auch hin und wieder Bezüge zu anderen Ländern gesucht, um die Fechtkunst als Ganzes zu begreifen. Doch die Vorliebe vieler Schüler und auch von mir liegt bei den Lehren des Mittelalters und der frühen Neuzeit im deutschsprachigen Raum.

Wir haben also in Europa und am längsten Deutschland eine riesige und breit aufgestellte Kampfkunsttradition, die sich über das "Fechten" aüßert und viele Formen bis hin zur Selbstverteidigung hat. Unsere Fechtkunst hat viele Möglichkeiten und bietet für jeden eine Möglichkeit sich zu entfalten. Egal ob Gesundheit, Chrakterschulung oder Selbstverteidigung, die alten Künste haben für jeden etwas parat. Ich bin glücklich in meinem Leben diesen Schatz entdeckt zu haben und ihn mit anderen teilen zu können.

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