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Lichtenauer als Randerscheinung?


Von Gönnern und Marketing, Zufall, Glück und Wahrscheinlichkeit

"Mit dem langen Schwerte vereint sich der Name des Fechtmeisters, welcher für die nächsten 200 Jahre die meisten Fechtlehren im Deutschen Reich prägen wird: Johannes Liechtenauer. " (http://www.stahlaufstahl.de/wr/index.php/cc-geschichte/ca-fechtmeister-und-quellen/johannes-liechtenauer/)

Der Großteil der "Historischen Fechter" erforscht und trainiert die Ring-und Fechtlehren des 14. bis 16. Jahrhunderts nach deutschsprachigen Quellen. Dabei nimmt die sogenannte "Lichtenauertradition" eine besondere Rolle ein. Gerade im Bereich des Fechtens mit dem Langen Schwert ist der Name Lichtenauer für viele ein Zeichen für Qualität geworden. Doch warum denken das eigentlich viele? Warum ist er für viele eine Art Ikone?


(Bayrische Staatsbibliothek München, Cod.icon. 394 fol. 16v;

Handschrift von Hans Talhoffer für Graf Eberhart "mit dem Barte" von Württemberg)

Bereits die älteste umfassende deutsche Quelle zum Fechten, die mehrere Waffen und Stile erläutert, bezieht sich auf Johannes Lichtenauer. Das "Nürnberger Hausbuch" oder einfach "Nürnberger Fechtbuch" von ca. 1389, womit die Handschrift HS 3227a des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg gemeint ist, bezieht sich fast ausschließlich auf die Kampfkünste Meister Lichtenauers. Er wird dort als herausragende Persönlichkeit beschrieben, welche die Fechtkunst zwar nicht erfunden habe, sie doch aber durch Erfahrung und Wanderschaft "ganz fertig vnd richtig gehabt vnd gekonnt" hat. Seine "Kunst" wird dabei noch genauer begrenzt, nämlich auf des Fechten "mit dem Schwert zu Fuß vnd zu Ross, bloß und in Harnisch". Besonderheit kommt hierbei also dem Schwertfechten zu, welches in verschiedenen Situationen mit verschiedener Ausrüstung gebraucht werden kann. Der Begriff "Langes Schwert" wird in dieser Quelle gar nicht genutzt. Es wird lediglich das "Schwert" genannt. Das es sich um eine zweihändige Waffe handelt erfahren wir erst aus dem Zusammenhang des Textes. Der Verfasser fügt schließlich auch "Gefechte" anderer Meister mit dem Schwert an, welcher er aber nur in kürze ausführt, da er meint, dass in Lichtenauers Kunst alle notwendigen Stücke inbegriffen seien. Schließlich ist es auch die einzige erhaltene Quelle, welche und die Ringerlehre des Johannes Lichtenauer vermittelt. Während spätere Fechtbücher, die in die Lichtenauertradition gesetzt werden auch andere Fechtmeister im Dolchfechten, Schwert- und Bucklerfechten, Kampffechten und Ringen nennen, ist das "Nürnbergrer Fechtbuch" insgesamt auf Johannes Lichtenauers Lehren zurechtgeschnitten. Innerhalb dieses "Hausbuchs" nimmt die Fechtlehre aber nur einen kleineren Teil ein. Weitaus größer sind die anderen handwerklichen Inhalte etwa zur "Alchemie", Wundheilung, Eisen- und Stahlbehandlung, Rezepten, Spielen und anderen Dingen. Die inhaltlichen Themen ähneln dem Wissen, welches ein guter Ausbilder im Militär auch heute noch wissen muss. Nämlich den Umgang mit Waffen und Material, Sanitätswesen, körperliches und geistiges Wohlbefinden und über die Vorschriften hinaus natürlich das Wissen um passende zeitgenössische Spiele bzw. gesellige Tätigkeiten. Ein Verfasser, der einen militärischen Hintergrund hatte, ist demnach durchaus anzunehmen. Wenngleich also der Verfasser Lichtenauer wohlmöglich in einem solchen Umfeld als Lehrer kennengelernt hatte und ihm eine sehr starke Bedeutung zumaß, so bleibt doch die Frage, wie dies im zeitgenössischen Gesamtzusammenhang zu bewerten ist. Warum wissen wir in einem Zeitraum von ca. 100 Jahren so viel von Johannes Lichtenauer? Bzw. warum wissen wir so wenig von anderen Fechtmeistern oder deren Lehren? Und stimmt diese Behauptung überhaupt, dass wir von anderen so wenig wissen?

Zur Person Johannes Lichtenauer lässt ich im 14. Jahrhundert recht wenig finden. Einige andere Historiker und Hobbyforscher haben bereits versucht die Person ausfindig zu machen. Doch dazu mehr in einem gesonderten Beitrag. Johannes Lichtenauers Lehren mit dem Schwert werden nach der Nürnberger Handschrift in mehr als 17 Handschriften bis in das 16. Jahrhundert kopiert und gebraucht. Um nun zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, möchte ich ein theoretisches Modell aufzeigen, wie es dazu gekommen sein könnte.

Zuerst einmal scheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Handschrift 3227a aus Nürnberg selbst als Vorlage für die ersten Tradierungen der Lichtenauerlehre im 15. Jahrhundert diente, da es sich um eine Art "Notizbuch" eines Schülers handelte, welches sich in einigen Punkten stark von späteren Texten unterscheidet. Gemäß den Vorworten, die zu Lichtenauers Kunst geschrieben werden, scheint seine Herausstellung darin zu bestehen, dass er die Lehre in Merkversen hat aufschreiben lassen.

Die Kopien der Auslegungen der Lichtenauerlehre durch Siegmund Arming (auch Ringeck genannt) sagen dazu folgendes.

"Hie hept sich an die vßlegu~g der zedel

in der geschriben stett die Ritterlich kunst des langes schwerts Die gedicht vnd gemacht hat Johannes lichtenawer der ain grosser maiste~ in der kunst gewesen ist dem gott genedig sÿ der hatt die zedel laußen schrÿbe~ mitt verborgen vñ verdeckte~ worten Daru~b dz die kunst nitt gemain solt werde~ Vnd die selbige~ v°borgneñ vñ verdeckte wort hatt maister Sigmund ain ringeck der zÿt des hochgeborne~ fürsten vñ herreñ herñ aulbrecht pfalczgrauen bÿ Rin vñ herczog in baÿern schirmaiste~ Glosieret vñ außgelegt alß hie in disem biechlin her nach geschrÿben stät dz sÿ ain ÿede~ fechter wol verömen vnd vestan mag der da ande~st fechten kan ~ [...]"

(Sächsische Landesbibliothek Dresden, Mscr. Dresd. C 487 fol. 10v-11r)

Alle erhaltenen Texte zu Siegmund Ringeck sind Kopien des 15. Jahrhunderts. Sie scheinen jedoch Kopien von Abschriften oder einem Originalfechtbuch zu sein, welches dieser vermutlich zwischen 1400 und den 1450er Jahren verfasste. Wie im obigen Zitat zu ersehen ist, wird beschrieben, dass Lichtenauer die Kunst "gedichtet" hat. Damit sind die Merkverse gemeint, die er zusammengetragen und strukturiert hat. Der Schirmmerister Siegmund Ringeck, der unter einem bayrischen Herzog namens Albrecht diente, habe diese Merkverse dann kommentiert und interpretiert. Demnach war Siegmund Amring als Schirmmeister an einem Hof der Wettiner als Meister für Kampfkunstunterricht angestellt. Es kann sich dabei um verschiedene Herzöge von Albrecht I. (1336–1404) bis zu Albrecht IV. (1447–1508) gehandelt haben. Da Siegmund Amring aber vom späteren Schirmmeister Paulus Kal um 1460 in einer "Gedenkliste" aufgeführt wird, kann seine Wirkzeit auf spätestens die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts eingeschränkt werden. Da Lichtenauer selbst wohl in der Mitte des 14. Jahrhunderts bis um 1400 gelebt haben könnte, ist die Lebenszeit von Amring auf ca. 1380-1450 zu schätzen. Demnach wird er frühestens um 1400 in den Diensten eines Herzogs Albrecht gewesen sein. Damit war sein Dienstherr sehr wahrscheinlich Albrecht III. (der Fromme; 1401–1460) von Bayern-München, welcher von 1438 bis 1460 in Amt und Würden war. Da Adligen aber trotzdem die familiären Adelstitel von Geburt an in förmlichen Anreden zugesprochen werden, wie sie im Fechtbuch erscheinen, könnte Arming auch bereits dem jugendlichen Albrecht gedient haben. Demnach war er vermutlich zwischen 1418 und 1460 zumindest zeitweise am Hof Albrecht III. in Bayern tätig. Welche Bedeutung diese Karriere für die Lichtenauertradition hatte, zeigt sich vielleicht in einem weiteren Zeitgenossen. Der Kampfbuchautor und Söldner Paulus Kal war ebenfalls als Schirmmeister an einem Hofe der Wittelsbacher in Bayern tätig. Spätestens ab 1450 lässt sich sein Dienst für Herzog Ludwig IX(den Reichen) von Bayern-Landshut nachweisen.


(Bayrische Staatsbibliothek München, Cgm 1507 fol. 04r.; Handschrift von Paulus Kal für Herzog Ludwig "den Reichen" von Bayern-Landshut. Hier gelobt der Schirmmeister seinem Herren seinen Dienst: "Genediger herr ich gelob euch den dienst mein got und sein liebew muter sullen unser helf’ sein ")

Beide Schirmmeister waren im Dienste von höchsten Vertretern der Linien der Wittelsbacher. Paulus Kal war dabei im Dienste des wohl mächtigsten Fürsten im süddeutschen Raum. Für die damalige Zeit muss ein Meister im Dienste dieser Persönlichkeiten eine hohe Autorität und Vorbild seines Handwerks gewesen sein. Zusätzlich hatte dies auch am Hof der Wittelsbacher Einfluss auf andere Hochadlige und den Niederen Adel. Wenn diese zu besonderen Anlässen, wie etwa der "Landshuter Hochzeit" eingeladen waren, mussten sie sich schließlich mit den Wittelsbachern in allen möglichen Weise messen und vergleichen, wozu damals natürlich auch das kämpferische Können und deren Ausbilder zählten. So ist Paulus Kal auch auf der genannten großen Landshuter Hochzeit anwesend gewesen, welche ein bis heute bekanntes Großereignis des Mittelalters mit gewaltigen Turnieren und anderen Zeremonien darstellte. Über Siegmund Amring wissen bisher kaum etwas. Doch wird auch er in der von Paulus Kal angeführten Lister von Meistern genannt, die nach Paulus Kal in der Tradition Johannes Lichtenauers standen. Kal tellt auch sich selbst diese Tradition. Paulus Kal bekam von seinem Dienstherrn auch ein gutes Auskommen, indem dieser ihm die Mautnerstelle in Dingolfing anvertraute. Einem Dienstbrief von 1474 können wir erneut seine Bestellung als Schirmmeister entnehmen.


(Bayrische Staatsbibliothek München, Cgm 1507 fol. 05r.;

Handschrift von Paulus Kal für Herzog Ludwig "den Reichen" von Bayern-Landshut. Hier überreicht der Schirmmeister seinem Herren sein Schwert mit den Worten: "Nemt hin genediger Herr das schwert ir wert von der muter gots und riter sand iorgñ aller riterschafft gewert ")

Aus diesen Umständen lässt sich sehr gut rekonstruieren, warum die Lichtenauerlehre später so viel kopiert wurde. Zum einen wurde sie durch besagte Meister und deren represäntative Handschriften für Ihre Herren innerhalb des bayrischen Hofes bekannt und kopiert, denn diese nutzen gerade die bebilderten Handschriften, um vor Standesgenossen protzen zu können. Auch die späteren Dienstheren von Paulus Kal, nämlich kein geringeres Haus als die Habsburger, nahmen Paulus Kal nach dem Tot Ludwig des Reichenin für jährlich 100 rheinische Gulden in deren Dienste. In ihrem Archiv bzw. Nachfolgearchiv befindet sich auch heute noch eine Handschrift von Paulus Kal. Auch Paulus Kals Lehrer, der von ihm genannte Meister Stettner war vermutlich ein Adliger, der am Wittelsbacher Hofe als Rentmeister tätig war. Damit hat sich mehr und mehr im süddeutschen Raum eine Fechtlehre über die höchsten Institutionen und verschiedenen soziale Zusammenhänge verbreiten können. Einige Ähnlichkeiten zwischen Paulus Kals Handschrift CGM 1507(Bayrische Staatsbilbiothek), seinem Textteil in seiner habsburger Handschrift MS KK 5126 (Kunsthistorisches Museum Wien), der HS 44 A 8 (Accademia Nazionale dei Lincei, Rom) und der späteren Kopie des 44 A 8 im "Goliath"( MS Germ.Quart.2020, Biblioteka Jagiellońska, Kraków) könnten für eine weitere Urheberschaft aus diesem sozialen Netzwerk um Paulus Kal und die Wittelsbacher verweisen. Stellen wir uns also vor, wir würden alle diese Handschriften mit Bezug zu Siegmund Ringeck und Paulus Kal (seine eigenen Werke und die oben genannten, die in Zusammenhang zu ihm stehen), die anscheinend in einem adligen Umfeld entstanden sind, ausblenden. Was würde dann von der "Lichtenauertradition" als Überlieferung übrigbleiben?

Es wäre nicht viel. Es wären vor allem Verse und Fachworte, die in anderen Fechtbüchern des bürgerlichen Milieus auch auftauchen würden. Dabei muss aber nicht dringend ein Zusammenhang zu Lichtenauer bestanden haben. Denn bereits oben hatten wir gezeigt, dass von Lichtenauer auch gesagt wurde, dass er die Kunst nicht erfunden hat. Es ist daher nur logisch, dass Teile von dem, was er zusammengetragen hat auch an anderen Stellen in ähnlicher Weise auftauchen. Es gäbe tatsächlich kaum eine Handschrift, die außerhalb eines adligen Umfeldes und/oder mit Bezug zu den Wittelsbachern oder Paulus Kal im 15. Jahrhundert entstanden ist, die einen klar erkennbaren Bezug zur Lichtenauertradition nimmt.

Zusätzlich werden interessanterweise die Lehren Lichtenauers bereits im 15. Jahrhundert trotz gleicher Inhalte teilweise schon nicht mehr seiner Person zugeschrieben. Wir haben 7 Handschriften, die im 14./15. Jahrhundert entstanden sind und zumindest inhaltlich Bezug zu Lichtenauer herstellen:

  • MS 3227a (ca. 1400s)

  • MS Chart.A.558 (1443)

  • Cod.44.A.8 (1452)

  • Cod.I.6.4º.3 (1450s)

  • Cod.Guelf.78.2 Aug.2º (ca. 1465-80)

  • Cgm 1507 (ca.1470)

  • MS KK5126 (1480s)

  • MS M.I.29 (1491)

Die Handschriften Cod.44.A.8 (1452), Cgm 1507 (ca.1470), MS KK5126 (1480s) und vermutlich auch Cod.I.6.4º.3 (1450s) sind im Umfeld der Wittelsbacher und Habsburger entstanden. Von den übrigen nennt die MS M.I.29 ("Codex Speyer") bereits den Namen Lichtenauer gar nicht mehr, obwohl eindeutig der Bezug zu Lichtenauers Merkversen im Langen Schwert und Roßfechten augezeigt werden kann. Die Handschrift MS M.I.29 kann somit nur schwerlich direkt zur Lichtenauertradition gezählt werden. Auch der Codex Cod.Guelf.78.2 Aug.2º (ca. 1465-80) enthält zwar die Merkverse Lichtenauers, nimmt aber keinen Bezug mehr zu dessen Persönlichkeit. Somit wäre keine Handschriften der Lichtenauertradition aus dem 14./ und 15. Jahrhundert mehr vorhanden außer der HS 3227a, die allerdings eine Sonderstellung aufgrund ihrer Autorschaft und Zielgruppe einnimmt. Spätere Abschriften aus dem 16. Jahrhundert entstehen meist durch Zugriff auf die Adelsarchive, durch etwa spätere Fechtmeister im Dienste dieser Familien oder auch durch den An- und Verkauf dieser Bücher, wie sich etwa bei Paulus Hector Mair zeigen lässt, der seine Werke aus alten Fechtbüchern zusammenstellte, die er wiederrechtlich aus Mitteln der Stadtkasse kaufte, wofür er schließlich auch gehängt wurde. Dies zeigt aber auch auf, das die Lichtenauertradition möglicherweise nur eine zeitliche Erscheinung war, die im 16. Jahrhundert durch die Wiederverwendung der alten Kampfbücher erneut in den Quellen auftaucht.

Wir hätten aber auch ohne diese Handschriften trotzdem noch ausreichend Kampfbücher anderer Meister aus dem 14. und 15. Jahrhundert, wie diese Liste aufzuzeigen vermag:

  • 1418-1428 Modus Dimicandi MS G.B.f.18a Modus Dimicandi (MS G.B.f.18a)

  • 1420s/1470s Codex Wallerstein Cod.I.6.4º.2 Codex Wallerstein (Cod.I.6.4º.2)

  • 1428 Die Blume des Kampfes Cod.5278 Die Blume des Kampfes (Cod.5278)

  • 1430 sGladiatoriaMS KK5013 Gladiatoria (MS KK5013)

  • 1435-1440 Gladiatoria MS Germ.Quart.16 Gladiatoria (MS Germ.Quart.16)

  • 1440s Gladiatoria MS U860.F46 1450 Gladiatoria (MS U860.F46 1450)

  • 1443 Talhoffer Fechtbuch MS Chart.A.558 Talhoffer Fechtbuch (MS Chart.A.558)

  • 1446-1459 Talhoffer Fechtbuch MS XIX.17-3 Talhoffer Fechtbuch (MS XIX.17-3)

  • 1450s Talhoffer Fechtbuch MS 78.A.15 Talhoffer Fechtbuch (MS 78.A.15)

  • 1459 Talhoffer Fechtbuch MS Thott.290.2º Talhoffer Fechtbuch (MS Thott.290.2º)

  • 1465-1480 Wolfenbüttel SketchbookCod.Guelf.78.2.Aug.2º Wolfenbüttel Sketchbook (Cod.Guelf.78.2 Aug.2º)

  • 1467 Talhoffer FechtbuchCod.icon. 394a Talhoffer Fechtbuch (Cod.icon. 394a)

  • 1478 Kunst des MesserfechtensCod.Pal.germ.430 Kunst des Messerfechtens (Cod.Pal.Germ.430)

  • 1480-1500 Ambraser CodexMS KK5342 Ambraser Codex (MS KK5342)

  • 1480s-1500s Cluny FechtbuchMS Cl. 23842 Cluny Fechtbuch (Cl. 23842)

  • 1482 Kunst des MesserfechtensCgm 582 Kunst des Messerfechtens (Cgm 582)

  • 1495 Meister peter falkners kunste Zu Ritterlicher WereMS KK5012Kunste Zu Ritterlicher Were (MS KK5012)

Die Persönlichkeit Hans Talhoffer ist hier natürlich besonders auffällig. Neben Paulus Kal ist er der einzige Schirmmeister mit einer entsprechenden Anzahl an erhaltenen Originalhandschriften und wurde auch dementsprechend oft kopiert. Talhoffer war dabei jedoch vorwiegend in niederen Kreisen des Adels tätig und nicht wie Kal dauerhaft an einem Hof angestellt. Trotzdem schaffte er es im hohen Alter in die Dienste des Hochadels, indem er Graf Eberhart von Württemberg ein repräsentatives Fechtbuch gestaltete (Cod.icon. 394a). Dafür scheint er jedoch keine Festanstellung erhalte zu haben. Talhoffer sollte nicht in die Nähe zur Lichtenauertradition gestellt werden. Wenngleich die Handschrift MS Chart.A.558 aus Gotha seinen Namen trägt, welcher später wieder überdeckt wurde, so bleibt es sehr fraglich, ob er sie tatsächlich erstellt hat oder erstellen ließ. Zumal die Fechtkunst Talhoffers neben dem Bezug auf Ehrenduelle und Selbstverteidigung auch stark Bezug zu gerichtlichen Zweikämpfen und dem Gefecht in Krieg und Fehde nimmt. Zusätzlich sind Zielgruppe und die Kampfesweise zu gewissen Teilen eine andere. Auch hier erscheint es ja nur logisch, das historisch gewachsene Fachbegriffe erscheinen, die auch Lichtenauer nutze und auch einige Verse und Phrasen ähneln. Ein direkter Bezug zu Lichtenauer lässt sich jedoch in nicht aufzeigen.

Ohne nun Stellung zu jedem Meister und Fechtbuch zu nehmen, was ich in einer größeren Publikation in fachlicher Arbeitsweise mit ausreichend Fußnoten, Quellen- und Literaturnachweisen tätigen werde, möchte ich nun auf meine Thesen verweisen, die sich aus diesen Hintergründen ergeben.

Die Lehren Johannes Lichtenauers waren Lehren, wie jede andere seiner Zeit auch. Wie auch heute ist die öffentliche Herausstellung von Werken, Institutionen und Persönlichkeiten wesentlich von sozialen Netzwerken und medialem Auftreten bestimmt. Wer reiche und bekannte Gönner hat, wer in den Medien und in den Köpfen der Menschen präsent ist, der bestimmt das Geschehen. Über Paulus Kal, vielleicht auch schon über dessen Meister Stettner oder auch Siegmund Amring, alle als Schüler oder "Nachfahren" der Lichtenauertradition, wurde diese Tradition mit ihren hochadligen Gönnern in hohen Adelskreisen und damit auch in anderen sozialen Kreisen bekannt. Einen direkten Zugriff auf diese Lehren hatten jedoch nur Schüler und Personen im Umfeld der "Dienstherren", die ebenfalls unterrichtet werden durften oder Zugriff zu den Adelsarchiven hatten, in denen die Handschriften aufbewahrt wurden. Es wundert daher auch nicht, dass es im 15. Jahrhundert lediglich im Umfeld der Hauptakteure bei den Wittelsbachern zur Verschriftlichung kam. Alle erhaltenen Handschriften des 15. Jahrhunderts zur Lichtenauertradition sind in einem adligen Umfeld und/oder in Archivnähe und somit oft Hofnähe entstanden. D

In Bezug zur öffentlichen Wahrnehmung kann jedoch nicht genau gesagt werden, wer zur damaligen Zeit wirklich eine sehr bekannte Persönlichkeit war. In Adelskreisen waren Johannes Lichtenauer und dessen Schüler vermutlich bereits im 14. Jahrhundert bekannt, wie Bezüge zu Fiore Dei Liberi zeigen könnten, der einen bekannten Meister Johannes aus Süddeutschland als einen seiner Lehrer nennt. In Bezug auf andere kämpfende Schichten, wie etwas das Stadtbürgertum bleibt es aber fraglich, wann erste Verbindungen zu bürgerlichen Fechtern außerhalb des Militärs auftraten. In diesen Schichten waren Paulus Kal und Lichtenauer wohl kaum bekannt, sondern vielmehr ihre örtlichen eigenen Schulen und Meister. Lediglich Hans Talhoffer scheint Verbindungen zu bürgerlichen Fechtergesellschaften gehabt zu haben, wie seine Halskette mit dem Symbol der späteren „Marxbrüder“ erkennen lässt.

Johannes Lichtenauer und die Überlieferung seiner Tradition wären demnach nicht automatisch ein Zeichen für hohe Qualität im Fechten, wenngleich der kriegerisch erzogene Adel sehr wohl erkannte, wer ein guter Kämpfer und Lehrer war. Vielmehr sind die gesamten Zusammenhänge um die Entstehung der Handschriften und die sozialen Beziehungen zwischen Schirmmeister und Dienstherr dafür entscheidend gewesen, dass wir heute mehr Quellen zur Lichtenauertradition haben, als zu anderen Traditionen. Darüber hinaus zeigt sich aber, dass wir neben dieser einen Tradition weitaus mehr Fechtbücher zu viele weitere Traditionen haben, wie die obige Liste mit ausgewählten Kampfbüchern zeigen kann. Jedoch sind es meist Einzelwerke, von denen keine Kopien angefertigt wurden.

Unser heutiges Bild der Lichtenauertradition ist von der Anzahl der Nennungen dieses Namens in den Quellen bestimmt worden. Und mit dem Umstand, dass diese Tradition die erste war, welche die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich lenkte. Zusätzlich bot sie auch die detailliertesten Technikbeschreibungen zumindest für das 15. Jahrhundert. Dieses Bild ist aber, wie oben aufgezeigt, trügerischen und spiegelt nicht unbedingt die tatsächliche zeitgenössische Bedeutung der Lichtenauertradition wieder. Trotzdem bleibt es die am besten überlieferte deutsche Fechtlehre des 15. Jahrhunderts.

Ähnlich wie in dieser Darstellung ist auch heute die Anzahl an Facebook Klicks, YouTube-Ansichten oder die Größe des Vereins bzw. der Schule kein Qualitätsmerkmal. Sondern vielmehr die Folge von sozialen Zusammenhängen (z.B. Gönner, persönliche Beziehungen), medialer Aufmerksamkeit(Publikationstätigkeit), Wunsch und Talent zur Selbstdarstellung und Marketing.

Wer Qualität sucht musste schon immer tiefer gehen als in das Oberflächliche Erscheinungsbild.

Diese Beurteilung ist und bleibt individuell.

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