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Trainingswaffen Teil 1: Historische Trainingswaffen


Von Stahl, Holz und Schärfe

Jüngst kamen Behauptungen auf, das der Fechtmeister Paulus Kal versucht habe Techniken für scharfe Waffen auf seine stumpfen Übungswaffen zu adaptieren. Ihm wurde somit indirekt vorgeworfen, seine Darstellungen der Lichtenauerlehre seine eine verfälschte Adaptierung eine Ernstkampfsystems auf das seine. Zugleich hieße dies, er habe nicht mit scharfen Waffen gefochten bzw. sein Kampfsystem sei nicht für den Ernstkampf mit scharfen Waffen gedacht. Was ist jedoch die Grundlage solcher Diskussionen? Es sind doch die Fragen nach den Trainingswaffen und Methoden der damaligen Zeit in Relation zu unseren heutigen.

So gibt es etwa die Annahme, dass sich scharfe Waffen komplett anders verhalten würden als stumpfe Waffen. Doch bevor ich mich diesem Thema in folgenden Artikeln widmen möchte, wage ich es auf historische Übungswaffen der letzten Jahrhunderte in Europa und anderen Teilen der Welt zu schauen. Vorzugsweise werde ich versuchen dazu jene Bevölkerungsschicht einzubeziehen, die sich für einen Kampf auf Leben und Tod und dazu meist hauptberuflich mit diesen Übungswaffen ausbildete, also Krieger/ Soldaten. Bereits in den Städten des Mittelalters liegt die Waffenübung in der Stadt unter Aufsicht von Meistern, deren Unterricht gezielt gefördert wird, um die Wehrhaftigkeit der Stadt zu gewährleisten. Den Stadtbürgern war bewusst, dass sie ihre Stadt und ihr Leben im Ernstfall selbst zu verteidigen hatten. Dazu erließen sie "Wehrverfassungen", welche die Verteidigung organisieren und ordnen sollten. Aus Nürnberg haben wir für das 15. Jahrhundert etwa eine Einteilung der Stadt in Verteidigungsbezirke, die wiederum mit festgelegten Hauptleuten und Mannschaften aus den Reihen der Bürger zu besetzen war. In diese Verteidigung war vermutlich auch der Schirmeister Paulus Kals eingebunden, denn es wird ein "Maister Pauls Schirmaister" erwähnt, der zu den "Karnbüchsen" unter dem Tor der Königlichen Festung erwähnt wird. Da Paulus Kal auch in späteren Konflikten seinen Herren aus Söldner im Bereich der Artillerie dient, ist es hier sehr wahrscheinlich, dass es sich um den späteren Schirmeister handelt, bevor dieser in die Dienste der Wittelsbacher eintrat. Weiterhin ist aus den Statuten der Stadt Nordhausen etwa erhalten, welche Rüstungsteile und Waffen die Bürger per Verordnung zu besitzen hatten. So war bereits um 1300 in Nordhausen per Strafe angeordnet, dass ein jeder Bürger festgeschriebene Waffen zu besitzen hatte. Strafen wurden ebenso für jene ausgesprochen, die ihrer Verpflichtung nicht nachkamen, wie auch für jene, die einem Bürger bei der "Waffenschau" eine Waffe liehen.

"Artikel 90 des 3. Buchs der Statuten von 1350 wiederholt das Gebot, dass jeder, der in Nordhausen ein Haus besitzt oder auch nur wohnt, sich mit seinem Vermögen angemessenen Waffen zu versehen hat, und zwar soll besitzen: wer Gut von drei Mark Werth zu verschossen hat: eine Schopen (lederne Jacke), einen Eisenhut, Waffenhandschuhe, Spiess (spiz) und Schwert; wer zehn Mark verschosset: ein Panzer(hemd), Eisenhut, Waffenahndschuhe, Schopen, Ringkragen (Halsperge), eine Tarsche (länglich viereckiger schild), Spiess und Schwert; wer dreissig Mark verschosset: noch über das einen Grusenir, Schoz (deckte die Oberschenkel) und eine schwäbische Plate (für die Brust); statt des Grusenir und für den Schoz war auch ein volles Panzerhemd zulässig. Wer endlich einen Werth von sechzig Mark zu verschossen hatte, musste "redliche wapen" haben, diese bestanden aus: Schopen, Halsberge, Grusenir, Schoz, schwäbischer Plate, "beingewant mit roren" oder ohne solche, Tarsche (kleiner, eckiger Schild), Eisenhut, Helm, Waffenhandschuhen, "eine Gleuenie" (Gleve/Lanze) oder Spiess und ein Schwert; "auch mag eyn[er] wol haben eynen schilt vor eyne trschen [...]" (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, elftes Heft, S.33ff.)

Hinzu kommen im 15. Jahrhundert dann auch Hakenbüchsen für wohlhabendere Bürger, wie etwa die Brauer, die bei Strafe von einer Mark eine solche Waffe besitzen mussten. Insgesamt scheint für jedes fehlende Teile eine Strafe von je einer Mark die Regel gewesen zu sein.

Diese fest organisierte Verteidigung der Stadt fordert natürlich einen gewissen Umgang mit diesen Waffen zu erlernen. Auch wenn dieser Forderung sicher nicht jeder nachkam, so war es doch die Aufgabe der Zeugmeister, Waffenmeister, Fechtmeister oder Schirmeister diese "Wehrhaftigkeit" durch eine Ausbildung zu unterstützen. So scheinen auch Paulus Kal und Hans Talhoffer in Nürnberg nicht nur als Söldner tätig gewesen zu sein, sondern bereits damals bei der Ausbildung der Truppen unterstützt zu haben. Gerade in den Werken Talhoffers finden sich viele militärische Aspekte der Kampfkunst, wie etwa der Gebrauch der Armbrust zu Pferd, worauf auch die Texte des Fechtmeisters Martin Hundsfeld hinweisen. Es wundert daher auch nicht, dass der infanteristische Kampf mit Langem Schwert, Spieß und Mordaxt einen großen Teil der Fechtbücher einnimmt.

Mit diesem Wissen können wir bereits sagen, dass der Umgang mit scharfen Waffen zum Alltag der Menschen gehörte, sofern sie sich an die Regeln hielten, die ihnen in den Städten auferlegt wurden. Die Bürger waren demnach gleichzeitig Soldaten und Krieger. Und in italienischen Quellen des späten Mittelalters wird sogar das überdurchschnittliche fechterische Können der deutschen Städter hervorgehoben. Nehmen wir nun das Beispiel der Kampfbücher von Paulus Kal und Hans Talhoffer zur Hand, dann sehen wir etwa einen Wechsel zwischen Schwertern die aussehen wie "Federn" bzw. stumpfen Simulatoren und jenen, die wie scharfe Beispiele wirken. Wir wissen aus dem methodischen Verständnis eines Ausbilders und aus den Kampfbüchern selbst, dass bei den hochwertigen Zeichnungen Modell gestanden wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Zeichner zu den Ausbildungsstätten kamen, um diese Momente festzuhalten. Wenn wir also die Waffen oder "Schwertsimulatoren" in den Bildern betrachten, dann sehen wir vermutlich eine Darstellung jener Werkzeuge, welche die Fechter tatsächliche in den Händen hatten. Dabei ist erstmal egal, wie gut dies der jeweilige Künstler umsetzen konnte. Doch es fällt zumindest auf, das dabei Stahlwerkzeuge verschiedenster Art dargestellt wurden. Sowohl bei Paulus Kal, als auch bei Hans Talhoffer finden wir Waffen mit und ohne Schild in der Klingenstärke. Damit kann davon ausgegangen werden, das auch beides im Unterricht benutzt wurde. Auch die Darstellungen im römischen Cod. 44 A 8 (sog. Von Danzig) zeigen sowohl Schwert, als auch Feder.


Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana, Rom, Cod. 44 A 8 [Cod. 1449] fol. 2v

Gerade der Cod.44.A.8. mit seiner Darstellung des Meisters, der als Lehrer die Feder in der Hand hält, verweist auf diese als sein Trainingswerkzeug. Die Vielfalt der Trainingswaffen ist also je nach Ausbildungsform damals ebenso wichtig wie heute. Hinzu kommen natürlich Trainingswaffen aus Holz, für die wir im 16. Jahrhundert Beispiele bei Messern und Dussäcken haben.

(Universitätsbibliothek Erlangen, Liber Quodlibetarius - UER MS.B 200, fol. 118r und 119r)

Holzwaffen gab es bereits in der Antike, es gab sie im Mittelalter und es gab sie auch in der Neuzeit. Neben dem Liber Quodlibetarius folgen in den jüngeren Jahrhunderten viele Darstellungen von Holzwaffen. Noch im 19. und 20. Jahrhundert wurden Trainingswaffen aus Holz genutzt, zusätzlich zu stumpfen und scharfen Stahlwaffen. Hier einige Impressionen verschiedener Trainingswaffen.

Kommen wir nun wieder zur Ausgangsfrage, warum es Leute gibt, die sich anmaßen einem Fechtlehrer des 15. Jahrhunderts, der seine Waffe in Übung, Krieg und Gefecht, scharf und stumpf gebraucht hat, vorzuwerfen, dass er ein scharfes Fechtsystem auf stumpfe Waffen adaptieren wolle. Ich finde darauf keine Antwort. Allerdings lässt sich anhand der oben aufgezeigten Fakten sehr wohl nachweisen, dass es meist nicht die scharfe Waffe war, die den Trainingsalltag bestimmte. Und wir sehen wieder, wie wichtig es ist dabei auch die historischen und soziologischen Fakten mit einzubeziehen. Sowohl die Bürger des Mittelalters und der frühen Neuzeit, wie auch die Turner, die in ihrer Fechtausbildung bereits auf den Dienst an der Waffe vorbereitet wurden und schließlich die Soldaten als Kämpfer kannten die Eigenschaften scharfer Waffen weitaus besser als der Großteil der Kampfkünstler heute, da der praktische und überlebensnotwendige Kontakt zu echten Waffen heut zu Tage glücklicherweise nur für bestimmte, auserwählte Personengruppen notwendig ist. Es lohnt aber der Blick und der Kontakt zu eben diesen historischen und aktuellen Personengruppen. Dies lehrt uns nicht nur die große Selbstverteidigungsszene, die mit Techniken Geld verdient, die das Leben der Menschen teilweise in unnötige Gefahr bringt, sondern inzwischen auch unsere eigene Szene, in der wir uns immer wieder gewissen Realitäten stellen müssen und anerkennen müssen, das wir zumindest in einigen Fachgebieten eben nicht die gleichen Erfahrungen erlangen können (und sicher auch nicht wollen), wie die Menschen, die sich realen Kämpfen aussetzen mussten oder müssen.

Letztlich möchte ich auf ein sehr schönes Forschungsprojekt hinweisen, in dem Sean Franklin von Blood & Iron und RJ McKeehan von South Coast Swords versuchen das Verhalten von scharfen Waffen bei hoher Kampfgeschwindigkeit und hohem Krafteinsatz darzustellen. Ihre dabei gesammelten Erfahrungen sind wichtig für Fechter. Neben einer strukturierten Analyse der Klingenverhältnisse scharfer Waffen bei verschiedenen Techniken der Lichtenauerlehre zeigen sie eines ganz deutlich auf und das ist ihnen laut ihrem Artikel auch besonders wichtig. Entgegen vieler Behauptungen ist das Bindungsverhalten scharfer Waffen nicht wesentlich anders, als bei stumpfen Waffen. Es gibt gewisse Unterschiede, die sie in ihrer Analyse detailliert aufzeigen. Aber sie sagen ganz klar, dass der Unterschied nicht so wesentlich ist, dass man mit stumpfen Waffen ein falsches Fechten erlernen würde. Im Gegenteil, sie haben sich gewundert, wie gut die Techniken, die sie mit stumpfen Waffen erlernt haben auch mit scharfen Waffen funktionieren. Es lohnt sich also auch mit scharfen Waffen unter bestimmten Bedingungen zu trainieren. Ein Zeitlupentraining oder extrem langsames Training sollte hingegen nicht mit scharfen Waffen durchgeführt, da dieses ein falsches Gefühl vermittelt. Auch wenn sich gegen diese Erkenntnisse logischerweise gewehrt wird, indem die Aussagen der genannten Forscher teilweise sogar verdreht werden, so sind sie doch nun als Fakten nicht mehr aus den wissenschaftlichen Kreisen unserer Kampfkunstszene zu eliminieren. Ich danke daher den oben genannten Kampfkünstlern für ihr Engagement. Sie haben meine Erkenntnisse der letzten Jahre zu scharfen Waffen, die ich auch im Austausch mit erfahrenen Schwertschmieden und Kampfkunstmeistern verschiedener Kampfkünste, die sich mit scharfen Waffen auskennen, weil sie diese herstellen und nutzen, gestützt. Hier noch der Link zu dem Artikel der sehr aufschlussreichen Forschung.


Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass bereits unsere kampferprobten Vorfahren stets mit Holzsimulatoren, stumpfen Stahlsimulatoren aber auch scharfen Waffen trainierten, um eine umfangreiche methodische Ausbildung zu gestalten. Jeder Waffensimulator fördert bestimmte Ziele. Die unverhältnismäßig hohe Bedeutung, die man oft dem Bindungsverhalten scharfer Waffen für das Training beimessen möchte, scheint unbegründet. Viel wichtiger ist eine scharfe Waffe, um die psychologischen Aspekte des Kampfes zu erfahren und zu trainieren. Bei regelmäßigem Umgang mit scharfen Waffen lernt man viel. Aber es geht irgendwann durch Routinen auch ein gewisser Respekt verloren. Diese Lehren lassen sich auch beim Umgang mit Schusswaffen finden. Dazu gibt es unzählige Beispiel aus dem militärischen Bereich. Aktuelle Forschungen, Erfahrungen aus anderen Kampfkünsten mit scharfen Waffen und auch das Wissen erfahrenster Schmiede bestätigen dies. Mehr zu dem Thema wird folgen.


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