Von Fachsprache, Grundlagen und Fechtstücken
Oft hören wir den Begriff Grundlagenausbildung, Grundlagentraining oder Grundlagenmodul. Vermutlich verbindet jeder damit etwas Anderes. Was ist also eigentlich gemeint, wenn ich bei mir an der Schule von Grundlagenunterricht oder Grundlagentraining spreche?
Die Fechtbücher des 14. bis 16. Jahrhunderts richten sich hauptsächlich an Fechter, deren Fähigkeiten und Fertigkeiten bereits soweit geschult waren, dass sie mit den uns bekannten Fechtbüchern arbeiten, lernen und üben konnten. Gerade bei den Glossatoren bzw. Auslegern der Lichtenauerzettel wird dies ganz klar. Sie richten ihre "Auslegungen" der lichtenauerzedel an jene, die ebreits eine Fechtausbildung erhalten haben.
"[...]vnd die selbigen verporgen | vnd verdackten wort der zedel die stenn hernach in der glosen | Also verklert | vnd aus gelegt das sÿ ydermann wol vernemen | vnd versten mag der do anders fechten kann [...]" ( Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana, Rom, Cod. 44 A 8 [Cod. 1449] Fol. 9v)
"[...] stät dz sÿ ain ÿede~ fechter wol verömen vnd vestan mag der da ande~st fechten kan ~[...]" (Sächsische Landesbibliothek Dresden, Mscr. Dresd. C 487, Fol. 11r)
Das sich besagte Kampfbücher an werdende Meister richten, das wird ebenfalls in den Texten deutlich, da stets darauf hingewiesen wird, dass man ein Meister ist oder meisterlich fechten kann, wenn man so fechten kann. Da die Textstellen dazu so zahlreich sind, erlaube ich mir hier nur ein passendes zu Zitat bringen.
"[...] Merck wer ein maister des swertz sein wil | Der sol wissen die wie man die vier plöss mit kunst suechen sol [...]" ( Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana, Rom, Cod. 44 A 8 [Cod. 1449] Fol. 15r)
Eine Grundlagenausbildung würde demnach alles umfassen, was benötigt wird, um das zu verstehen, was in den Kampfbüchern vorausgesetzt bzw. nicht explizit erklärt wird. In einer Grundlagenausbildung muss es also darum gehen, das Lehrer und Schüler bezogen auf die Kampfkunst in einer Sprache sprechen können. Es geht also darum die Fachsprache der Kunst und die damit verbundenen Bewegungen bzw. Prinzipien zu verstehen. Vieles davon wird in den Kampfbüchern vorausgesetzt, um sie zu verstehen. Dabei müssen grundlegende und Traditionsübergreifende Begriffe wie Winden, Wenden, Versetzen, Abtreten, Zutreten, Oberhau, Unterhau, Anbinden uvm. geklärt und verinnerlicht werden, damit alle am Unterricht beteiligten auf einer Ebene sprechen können.
So etwa das Wissen, wie die grundlegendsten Häue gehauen werden. Nehmen wir hier einfach den Oberhau und den Unterhau an, wie in der HS 3227a aufgezeigt, dann kommen wir allein beim Langen Schwert auf mindestens 128 Hauvarianten, die für Oberhau und Unterhau vorausgesetzt werden. Nehmen wir die grundlegenden Varianten der Beinarbeit mit dazu, dann erhöht sich die Zahl auf mindestens 768 Varianten. Damit will ich keine Angst machen! Wir sehen aber, welche kognitiven und psychomotorischen Voraussetzungen verlangt werden, um die geistigen und körperlichen Voraussetzungen zu erlangen, um diese Werke zu verstehen und mit ihnen zielführend üben zu können. Dabei sind noch nicht die Grundlagen im Ringen eingeflossen, die als absolute Basics dienen und vor oder zeitgleich mit jeder Fechtausbildung stattfanden. Auch die körperliche Fitness einer Grundlagenausbildung, die es zu erlangen gilt, ist bisher nicht in die Betrachtung eingeflossen und soll auch in diesem Aufsatz nicht näher betrachtet werden, da dies den Rahmen sprengen würde.
Es gibt jedoch wenige Quellen, die uns eine Vorstellung davon geben, welche Inhalte eine solche Grundlagenausbildung gehabt haben könnte. Die beiden besten Beispiele dafür sind die Handschrift des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, HS 3227a mit ihrer detaillierten Grundlagenbeschreibung der Lichtenauerlehre und die Werke von Joachim Meyer. Joachim Meyer spricht durchweg davon, dass sich sein Werk vorzugsweise an den Anfänger, den Schüler richtet und nur nachrangig wie vorige Werke an den Meister oder werdenden Meister. Der dabei wichtigste Absatz von Meyer ist folgender:
"[...]Danach lerne zum zweiten dieselbigen (Häue; Einfügung durch Verfasser) im vollen Flug oder Lauf anzuzucken oder verfliegen zu lassen, damit du jeden Hau, wenn er gerade im Antreffen ist (und du gewahr wirst, dass er an diesem Ort wirkungslos sein würde), noch im Flug, ehe er dessen recht gewahr wird, woanders hin verwenden kannst.Erst dann bist du tüchtig auf den Platz zu treten und zu lernen, solche Häue in der Praxis auch gegen deinen Wiederfechter ins Werk zu richten." ( Joachim Meyer, Gründtliche Beschreibung des Fechtens, Augsburg, 1600, b iii v.)
Die Absolute Grundlage, um überhaupt ein (Übungs)Gefecht zu starten und mit einem Partner/ Gegner zu üben, ist das Beherrschen der Hiebe in jedweder Lage, also gekoppelt mit den zusätzlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Kämpfers, wie etwa Abstandsgefühl, innere Ruhe etc., die es in jeder Kampfkunst zu erlangen gilt. Gehen wir nun in die Grundlagenausbildung von Meyer rein, die das Paradebeispiel für eine zeitgenössische Grundlagenausbildung darstellt, dann ist die absolute Grundlage ein Hiebkreuz zu den vier Blößen auf den 8 Bahnen. Das hieße also die Grundlagenhiebübungen von dem einfachen Unterhau und Oberhau auf weitere 4 Linien zu erweitern, womit sich die oben angedachte Zahl an Hiebvarianten vervierfacht. Eine solche Vielfalt an Grundlagen im kognitiven und psychomotorischen Bereich zu lehren und zu lernen, ist kaum über das Studium der Stücke eines Kampfbuches der alten Glossatoren der Lichtenauerlehre möglich, welches das beherrschen dieser Fähigkeiten und Fertigketen voraussetzt.
Bei Joachim Meyer lassen sich zum einen die didaktischen Strukturen sehr gut nachvollziehen und zum anderen aber auch die Methodiken, dem Schüler die psychomotorischen Lernziele zu vermitteln. Dazu habe ich eine kleine Galerie angefügt, die nur einige Beispiele der bildlichen Darstellung aufführen soll, auf die ich in kommenden Veröffentlichungen im Detail eingehen werden.
Nach meiner Meinung kann eine gute Grundlagenausbildung daher nicht darin bestehen mit Anfängern die Stücke eines der Werke der Lichtenauertradition durchzugehen, selbst wenn dies noch so intensiv geschehen würde. Stücke allgemein sind nichts Anderes als Beispielabläufe, die bestimmte Bewegungsprinzipien vermitteln sollen. Die Stücke der Lichtenauerlehre setzen aber so viele Prinzipien voraus, dass sie in ihrer Gänze ohne Grundlagen und ein intensives, jahrelanges Studium nicht verstanden werden können. Auch dies lässt sich aus Meyers Werken erkennen. Ein gutes jüngeres Beispiel stellt hier die Didaktik von Jakob Happel um 1863 dar, dessen Curriculum noch im 19. Jahrhundert eine ähnliche Struktur wie die HS 3227a von 1389 aufweist und vom Ringen zum Boxen zur Einhandwaffe etc. aufbaut. Dabei setzt er eine Grundlagenausbildung von 18 Monaten bei ungefähr dreimaligem Training je Woche an. Es muss also ein zielgerichtetes Curriculum erarbeitet werden, dass dem Ziel gerecht wird, die Fachsprache und die Bewegungsprinzipien zu erlernen. Dieses sollte stets mit einer Körperschulung durch das Ringen und Turnen, als Basis des Körperverständnisses einhergehen. Diese Ausbildungskultur der Fechter/Kämpfer, die stets mit der militärischen Bedeutung der Kampfkunst in Hand ging und geht, findet sich auch heute noch in der militärischen Ausbildung. Denn nirgendwo anders kommt die Kampfkunst her, als von jenen, die sie maßgeblich im Ernst gebrauchen müssen. Daher ist es mir ein besonderes Anliegen im kommenden Jahr mit der Veröffentlichung von einem Mehrbändigen Unterrichtswerk im Bereich der Grundlagenausbildung zu beginnen und begleitend auch Unterrichtshilfen und Beispiel- Unterrichtspläne für Lehrer anzubieten. Zusätzlich arbeite ich seit zwei Jahren an einem Vergleich der didaktischen Strukturen von Joachim Meyers Werken und denen der Lichtenauertradition. Auch diese Forschung möchte ich in den kommenden 2 Jahren veröffentlichen.
Natürlich ist es unter den heutigen Voraussetzungen schwierig diese Ziele außerhalb von Berufsgruppen umzusetzen, die in ihrem Tagesgeschäft auf das Anwenden von und/oder den Umgang mit Gewalt angewiesen sind. Vielen fehlt nun mal neben dem Beruf schlichtweg die Zeit, um sich so intensiv mit der Materie auseinanderzusetzen. Dies ist auch beim Militär bekannt. Denn nicht jede Truppengattung kann so durchgängig für den Kampf üben, wie eine Kampfeinheit. Ein Problem das auch andere Kampfkünste erfahren. Hier müssen natürlich jeder Lehrer und jeder Schüler ihre eigenen Zielvorstellungen verwirklichen und sich fragen, mit welchem Ziel er/sie in dieses Thema einsteigen wollen. Zielt man auf einen einfachen Ausgleichssport, ist es natürlich legitim sich allein mit den Stücken der Lichtenauerlehre auseinandersetzen. Zumal niemand überhaupt das Recht hat, jemanden vorzuschreiben, zu welchen Zwecken er Kampfkunst/Kampfsport betreibt, solange diese im rechtlichen Rahmen bleiben. Daher möchte ich nochmal auf mein persönliches Ziel hinweisen. Ich habe z.B. das Ziel die alten Kampfkünste mit dem gleichen hauptberuflichen Anspruch zu erlernen und zu lehren, wie ich es als Ausbilder und Lehrer im Militär die letzten 11 Jahre gewohnt war. An meiner Schule läuft nun seit einigen Jahren ein Grundlagencurriculum, das darauf abzielt eben jene Grundlagen an Fachbegriffen und Bewegungsprinzipien zu lehren. Mein Einhandwaffenkurs erlernt nun seit eineinhalb Jahren Grundhäue und die dazugehörigen Körpermechanischen Grundprinzipien sowie Übungen zum verinnerlichen der Schwertphysik. Ein Beispiel ist etwa das Beherrschen der Übertragung und Aufnahme von unterschiedlichsten Impulsen in die gegnerische Klinge. Dazu habe ich umfangreiche Solo-und Partnerdrills, die es zu beherrschen gilt, bevor wir im kommenden Frühjahr mit dem zweiten Modul des Grundlagentrainings beginnen. Nach eineinhalb Jahren Hau-Übungen in verschiedensten Varianten folgt also in einigen Monaten das zweite Hauptstück bzw. Grundlagenelement, das Versetzen, wozu ich kürzlich ein Seminar als Einstieg auch für externe Teilnehmer inklusive Lernunterlagen angeboten und durchgeführt habe. Erst ab 2018, also nach zweieinhalb Jahren Grundlagenausbildung, werde ich mit meinen Schülern ein Werk mit seinen Stücken durchgehen, wenngleich ich jetzt schon sehe, dass sie viele der Stücke bereits anwenden, ohne je von ihnen gehört zu haben, da sie viele Grundprinzipien bereits kennen. Doch das ist meine Vorstellung von Grundlagenausbildung, die natürlich nicht eurer entsprechen soll. Wenn ihr allerdings Fragen habt, dann tretet gern an mich heran. Langweilig wird es übrigens auch ohne die Stücke nie! ;-)